Azurblaue Gewalt (Carla, John und Franklyn)
etwas auf den Kopf. Auch sie richtete ihren Blick nach oben und entdeckte nichts.
„Siehst du dort oben etwas?“, fragte sie John.
„Nein. Woher kommen die verdammten Holzstücke?“
„Hey, ich habe dich gesehen!“, rief sie nach oben in den Baum. „Komm herunter, du Teufel. Wir haben dich entdeckt.“ Sally war erleichtert, als sie ihre Tochter im Baum erblickte. Allerdings befand sie sich in einer Höhe, die ihnen nicht gerade ungefährlich erschien.
„Wie bist du dort hochgekommen?“, fragte sie ihre Tochter. Dabei versuchte sie, ihr Unbehagen zu verbergen.
„Ich bin einfach hochgesprungen“, antwortete Sarah und lachte herzlich. „Ich habe gedacht, ich müsste Euch mal einen kleinen Schrecken einjagen.“
„Das ist dir prima gelungen. Du hast uns zu Tode erschreckt. Wer weiß, was dir hätte passieren können. Komm bitte langsam wieder herunter.“
„Ist gut“, antwortete Sarah. „Aber der Witz ist mir g elungen.“
„Ja, ganz toll, das hast du prima gemacht“, antwortete Sally ironisch. Sie war verärgert, wollte es sich aber nicht anmerken lassen. Womöglich könnte Sarah bedingt durch ihr Schuldbewusstsein einen Fehler beim Herunterklettern machen und vom Baum fallen. Das musste sie um jeden Preis verhindern. Wenn sie erst wieder unten auf dem Boden angekommen war, konnte sie noch immer mit ihr schimpfen.
„Was meinst du eigentlich damit, dass du einfach hochgesprungen bist?“
„Ich habe mich hingehockt und bin dann hochgesprungen. Danach hing ich hier oben im Baum.“
„Sie hat ihre Fähigkeiten wiedererlangt“, flüsterte Sa lly zu John. „Vielleicht musste sie nur ausschlafen.“
„Das ist klasse!“, flüsterte er zurück. „Wir lassen uns nichts anmerken. Vielleicht erhalten wir unsere Fähigkeiten ebenfalls zurück. Wir haben allerdings nicht fertig gefrühstückt. Vielleicht fehlt uns jetzt die notwendige Energie. Sarah war schlauer als wir. Sie hat eine Weile vor uns gegessen. Sie hat bestimmt mehr gegessen, als wir.“
„Komm herunter, Kleines“, rief Sally in den Baum.
„Moment, ich komme. Geht bitte ein wenig auf Seite.“
„Macht bitte Platz. Ich vermute, sie will springen.“
John, Carla, Sally und Franklyn gingen auf Seite und bereiteten Sarah auf diese Weise einen großen Bereich, auf dem sie landen konnte, wenn sie tatsächlich herunterspringen würde.
Sie hatten noch nicht den letzten Schritt getan, da la ndete Sarah bereits auf sicherem Fuße direkt neben ihnen. Sie war aus ungefähr fünfundzwanzig Fuß Höhe herunter gesprungen, ohne großartig in den Knien einzuknicken. Ohne ihre Fähigkeiten hätte sie sich vermutlich die Beine gebrochen.
„Wow, du hast deine Kräfte zurückbekommen. Du bist genau so kraftvoll gelandet, wie ein Grashüpfer.“
„Du meinst, ich kann so gut springen, wie der Flip?“, fragte Sarah begeistert und grinste über beide Ohren.
„Nein, Sarah, du kannst besser springen, als Flip. Im Verhältnis springst du so weit, wie ein Floh. Wenn man die Größe eines Flohs berücksichtigt, kannst du vermu tlich noch weiter springen. Ich wette, du schaffst hundert Fuß mit einem Satz.“
Sally übertrieb natürlich maßlos, damit Sarahs Selbstwertgefühl mächtig wuchs. Doch wie sich in den nächsten Tagen und Wochen herausstellen sollte, hatte sie vermutlich gar nicht so sehr übertrieben. Vermutlich hatte sie sogar untertrieben.
Sarah wollte gleich wieder hoch in den Baum spri ngen, doch schaffte sie es gerade einmal ungefähr zwei Fuß nach oben. Mehr war nicht drin.
„Was ist denn jetzt los?“, fragte Sarah mächtig en ttäuscht. „Wieso kann ich nicht mehr hochspringen? Ich bin doch vorhin aus dem Stand bis dort oben an den Ast gesprungen.“
„Kann es sein, dass du ein wenig übertreibst?“, fragte Franklyn. „Ich glaube eher, dass du den Stamm an den Ästen hochgeklettert bist.“
„Nein, ehrlich, ich bin gesprungen. Wirklich. Ihr müsst mir das glauben.“
„Ja, Sarah, wir glauben es dir“, antwortete Franklyn mit einem ironischen Unterton, den sie nicht erkannte. Die Erwachsenen hatten allerdings Antennen für Ironie und lächelten. Franklyn hatte für beide Parteien gesprochen. Sarah war jetzt der Meinung, dass die Erwachsenen ihr glauben würden, und die Erwachsenen wussten genau, wie diese Antwort gemeint war: Ironisch.
„Sie kann gar nicht geklettert sein“, meldete sich John zu Wort. Wie sollte sie den glatten Stamm hochgeko mmen sein? Die Äste beginnen erst ab einer Höhe von ungefähr zwölf
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