Azurblaue Gewalt (Carla, John und Franklyn)
ebenfalls gehört, oder besser gesagt, mitbekommen, was Sally viel zu laut gedacht hatte. Jetzt stellte sich heraus, dass man Gedanken auch laut denken konnte.
Sally hingegen wäre am liebsten unter dem Tisch ve rschwunden, so sehr schämte sie sich für ihre Gedanken, die jeder ihrer Freunde mitbekommen hatte. „Hört Ihr alles, was ich denke? Das ist ja fürchterlich. Ich wusste gar nicht, dass ich in der Lage dazu bin, Euch mitzuteilen, was mir durch den Kopf geht.“
„Du hast uns deine Gedanken ja förmlich aufgezwungen. Wir mussten sie also mitbekommen. Vielleicht musst du etwas leiser denken“, sagte Franklyn und lachte. „Du wirst schon herausfinden, wie das funktioniert.“
Nach einer Weile des schweigenden Gedankenaustauschs mit begleitender Sprache wussten sie beizeiten nicht mehr, ob sie gesprochen oder gedacht hatten. Es stellte sich heraus, dass die Stimme nur Mittel zum Zweck ist, Gedanken von einer zur anderen Person zu tragen. Das gleiche geschieht beim Gedankenaustausch ohne Sprache, nur viel schneller.
Warum sind wir in der Lage, unsere Gedanken ausz utauschen, ohne dabei zu reden? , fragte Sally. Währenddessen steckte sie sich ein Stück Fleisch in den Mund.
Du hast dir doch gerade die Frage selbst beantwortet , erwiderte Carla und prostete ihr zu. Es hat den Zweck, dass du während des Essens reden kannst. Für Frauen ist dies äußerst praktisch. Männer sagen nur Prost, und haben damit das Gespräch des gesamten Abends geführt.
„Hey, du meinst, Männer könnten sich nicht ausgiebig unterhalten ?“ John war entsetzt. „Wir Männer können auch reden. Ja, das können wir! Und wie wir das können!“
Johns Beschwerde klang fast ein wenig trotzig.
Die Gedankensprache zu benutzen hatte große Vorte ile. Es konnte noch so laut um sie herum sein, die Verständigung litt absolut nicht darunter. Wie sie bald feststellten, konnten sie sogar örtlich voneinander entfernt sein, ohne sich zu sehen, und es funktionierte noch immer. Vermutlich war es so ähnlich, wie ein Funkgerät. Eine Verbindung, die einmal aufgebaut war, blieb bestehen. Die Wellen ließen sich über immer größere Distanzen übermitteln. Je mehr sie übten, desto weitere Strecken konnten sie überbrücken. Ihre Smartphones benötigten sie nun nicht mehr. Sie lernten immer mehr, mit ihrer neuen Fähigkeit umzugehen. Sie waren mit einer Gabe gesegnet, über die vermutlich kein anderer Mensch auf diesem Planeten verfügte. Kommunikation per Gedankenaustausch bereitete ihnen unheimlichen Spaß. Auf diese Art und Weise hätten sie während ihres Studiums jede Prüfung meistern können. Schlimmer noch, sie hätten die Gedanken der anderen Studenten abhören und für ihre Ergebnisse nutzen können. Doch damals verfügten sie leider noch nicht über diese nützliche Gabe. Oder sie hatten sie bereits besessen und hatten nichts von ihrer Existenz gewusst.
In den nächsten Tagen und Wochen lernten die fünf, ihre neue Fähigkeit immer gezielter einzusetzen. Sobald sie feststellten, dass sich Menschen in einer misslichen Lage befanden, konnten sie ihnen helfen – sofern die Fähigkeit aktiv war. Leider hatten sie noch immer nicht gelernt, die Gabe bewusst ein- oder auszuschalten. Doch wie das Schicksal es wollte, wurde sie immer öfter von allein aktiv. Vielleicht wurde sie durch das Hilfsbedürfnis anderer Menschen aktiviert. Jetzt, da sie wussten, dass sie auch in ungewöhnlichen Situationen helfen konnten – Menschen reden oft nicht über ihre Probleme, sondern denken sie nur – achteten sie wesentlich mehr auf ihre Umwelt. Sobald sich ein Missgeschick, ein Unfall oder ein Schicksalsschlag in ihrer Nähe ereignete, eilten sie dorthin, um zu helfen, sofern es ihnen zeitlich möglich war. Womöglich musste die Fähigkeit erst in ihren Körpern wachsen oder reifen, um auf Abruf bereit zu stehen. Schade war nur, dass sie sich noch immer nicht willentlich steuern ließ. Aber auch das würden sie sicher bald im Griff haben. Schließlich fühlten sie sich wie die Auserwählten, die die Erde retten sollten.
Ausgerechnet Sarah fand durch Zufall heraus, wie man mithilfe ihrer Gabe die Gedanken anderer aber vor allem auch fremder Menschen anzapfen konnte, mit denen man sich gerade unterhielt. Oftmals sagten einem die Menschen nette Dinge, die sie gar nicht freundlich meinten. Freundlich ist der Mensch oft nur aufgrund seiner anerzogenen und vorgespielten Höflichkeit. Auf diese Art und Weise konnte Sarah herausfinden,
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