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Titel: B00B5B7E02 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cain
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wahrscheinlich daran, dass sehr viele Menschen vorgeben, extravertiert zu sein. Verkappte Introvertierte tummeln sich unbemerkt auf Spielplätzen, in den Umkleideräumen von Turnvereinen und auf den Fluren großer Unternehmen. Manche machen sich sogar selbst etwas vor, bis sie von irgendeinem Ereignis im Leben – dem Verlust des Arbeitsplatzes, dem Auszug der Kinder, einer Erbschaft, die ihnen freie Verfügung über ihre Zeit schenkt – aufgerüttelt werden, eine Bestandsaufnahme ihres wahren Wesens zu machen. Sie müssen nur das Thema dieses Buches in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis erwähnen, um festzustellen, dass Menschen, von denen Sie es nie gedacht hätten, sich auf einmal für introvertiert halten.
    Es ist nachvollziehbar, dass viele Introvertierte sich vor sich selbst verstecken. Wir leben in einem Wertesystem, das vom »Ideal der Extraversion« geprägt ist, wie ich es nenne – dem allgegenwärtigen Glauben, der Idealmensch sei gesellig, ein Alphatier und fühle sich im Rampenlicht wohl. Der archetypische Extravertierte handelt lieber, als nachzudenken, ist eher risikofreudig als fürsorglich und zieht Gewissheit dem Zweifel vor. Er bevorzugt rasche Entscheidungen, selbst auf die Gefahr hin, sich zu irren. Er arbeitet gut im Team, ist gern unter Leuten und misst Erfolg an der Anzahl der Facebook-Freunde, LinkedIn-Kontakte und Twitter-Aufrufe. Wir möchten gern glauben, dass wir Individualität wertschätzen, aber vor allem bewundern wir einen Typus  – denjenigen, dem es nichts ausmacht, »sich in den Vordergrund zu stellen«. Selbstverständlich gestehen wir technisch begabten Individualisten, die in Garagen Firmen gründen, eine Persönlichkeit nach ihrem Geschmack zu, aber sie bilden die Ausnahme, nicht die Regel, und unsere Toleranz in diesen Dingen ist hauptsächlich denen vorbehalten, die sagenhaft reich werden oder gute Chancen haben, es zu werden.
    Die Introversion – zusammen mit ihren Attributen der Empfindsamkeit, Ernsthaftigkeit und Schüchternheit – gilt heute als Persönlichkeitsmerkmal zweiter Klasse, das irgendwo zwischen enttäuschenden und pathologischen Merkmalen angesiedelt ist. Introvertierte, die unter dem Ideal der Extraversion leben, sind wie Frauen in einer »Männerwelt«: Sie werden wegen eines Merkmals geringgeschätzt, das sie im Innersten definiert. Die Extraversion ist ein enorm attraktiver Persönlichkeitsstil, aber wir haben sie in eine repressive Norm verwandelt, der die meisten Menschen glauben, entsprechen zu müssen.
    Das Ideal der Extraversion wurde in vielen Studien behandelt, obwohl diese Untersuchungen nie unter einem einheitlichen Begriff firmierten. Gesprächige Menschen werden beispielsweise als klüger, besser aussehend, interessanter und als wünschenswertere Freunde beurteilt. Die Sprechgeschwindigkeit zählt dabei ebenso wie die Lautstärke. 9 Wir glauben, dass schnelle Sprecher kompetenter und sympathischer als langsame sind. Dieselbe Charakteristik trifft auf Gruppen zu; Untersuchungen zeigen, dass die Redegewandten für klüger gehalten werden als die Zurückhaltenden 10 – obwohl zwischen Redegewandtheit und guten Ideen kein Zusammenhang besteht. Selbst der Begriff »introvertiert« ist stigmatisiert – eine informelle Untersuchung ergab, dass Introvertierte ihre eigene physische Erscheinung mit lebendigen Worten beschreiben (»grünblaue Augen«, »exotisch«, »hohe Wangenknochen«), aber wenn sie ganz allgemein Introvertierte beschreiben sollen, zeichnen sie ein unattraktives, ödes Bild (»unbeholfen«, »farblos«, »Hautprobleme«). 11
    Doch wir begehen einen großen Fehler, wenn wir das Ideal der Extraversion so unbesehen übernehmen. Einige unserer größten Ideen, Kunstwerke und Erfindungen – von der Evolutionstheorie, über van Goghs Sonnenblumen bis hin zum PC – stammen von stillen und feinsinnigen Menschen, die es verstanden, in sich hineinzuhören und die Schätze, die in ihrem Innern lagen, zu heben. Ohne Introvertierte wäre die Welt ärmer um
     
    die Gravitationstheorie,
die Relativitätstheorie,
W. B. Yeats’ Gedicht Die Wiederkunft Christi ,
Chopins Nocturnes ,
Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ,
Peter Pan ,
Orwells 1984 und Farm der Tiere ,
Charlie Brown ,
Schindlers Liste, E.T. und Unheimliche Begegnung der dritten Art ,
Google und
Harry Potter ,
     
    also um: Sir Isaac Newton, Albert Einstein, W. B. Yeats, Frederic Chopin, Marcel Proust, J. M. Barrie, George Orwell, Charles Schulz, Steven

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