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schwerlich sagen können, zu welchem Kontinent die Seychellen gehörten. Neros Frau ist aber auch nur ein Mensch: Obwohl sie sich immer wieder selbst sagte, dass sie nicht mit Johns Gemahlin tauschen wollte, konnte sie sich doch nicht des Gefühls erwehren, im Leben zu kurz gekommen zu sein. Irgendwie fruchteten Worte und Vernunft angesichts eines überdimensionalen Diamanten, einer bombastischen Villa und einer Kollektion von Sportwagen nichts.
Ein überbezahltes Landei
Nero stand seinen Nachbarn genauso zwiespältig gegenüber. Er dachte ziemlich geringschätzig über John, der für alles stand, was er nicht ist und gar nicht sein will, aber gleichzeitig lastete auf ihm allmählich auch ein gesellschaftlicher Druck. Darüber hinaus hätte auch er gerne diesen außergewöhnlichen Reichtum gekostet. Intellektuelle Verachtung kann persönlichen Neid nicht unterdrücken. Das Haus auf der anderen Straßenseite wurde immer größer, ein Anbau folgte dem anderen – und Neros Unbehagen wuchs in gleichem Maße. Sein persönlicher und intellektueller Erfolg mochte zwar seine kühnsten Träume übertreffen, doch hatte er irgendwie das Gefühl, dass er eine Chance verpasst hatte. In der Hackordnung der Wall Street gehörte er durch den Aufstieg von Typen wie John nicht mehr zu den bedeutenden Händlern – doch während ihm das früher nichts ausgemacht hatte, begann John mit seinem Haus und seinen Autos an ihm zu nagen. Alles wäre in Ordnung gewesen, hätte nicht jeden Morgen dieses alberne protzige Haus auf der anderen Straßenseite Nero an einer oberflächlichen Messlatte gemessen. War da eine animalische Hackordnung im Spiel, in der die Größe von Johns Behausung Nero zum Beta-Männchen machte? Schlimmer noch: John war ungefähr fünf Jahre jünger als sein Nachbar, und trotz einer kürzeren Karriere verdiente er mindestens zehn Mal so viel wie Nero.
Immer wenn sich die beiden begegneten, hatte Nero eindeutig das Gefühl, dass John versuchte, ihn in ein schlechtes Licht zu rücken – mit kaum wahrnehmbaren, aber nichtsdestoweniger wirkungsvollen Gesten der Herablassung. An manchen Tagen ignorierte ihn John völlig. Bei entsprechender Distanz (wenn Nero beispielsweise in der Zeitung über ihn gelesen hätte) wäre die Sache anders gewesen. Aber John war ein Mensch aus Fleisch und Blut und Neros Nachbar. Nero beging den Fehler, ihn anzusprechen, und die Regeln der Hackordnung kamen sofort zum Tragen. Nero versuchte, sein Unbehagen zu mindern, indem er sich Swann ins Gedächtnis rief, die Figur aus Prousts Auf der Suche nach der verloren Zeit – ein äußerst kultivierter Kunsthändler und Müßiggänger, der sich in der Gesellschaft von Männern wie seinem Freund, dem damaligen Prinzen von Wales, wohl fühlte, aber im Umgang mit Angehörigen der Mittelklasse immer so handelte, als müsse er etwas beweisen. Der Umgang mit dem aristokratischen und gut etablierten Kreis um die Guermantes fiel Swann leichter als seine Kontakte zu gesellschaftlichen Emporkömmlingen wie den Verdurins, was zweifellos daran lag, dass er in der Gegenwart der ersteren Gruppe sehr viel mehr Selbstvertrauen besaß. Auch Nero hat ein gewisses Ansehen bei renommierten und prominenten Menschen. Er macht regelmäßig lange meditative Spaziergänge in Paris und Venedig mit einem gelehrten Wissenschaftler von Nobelpreisrang (ein Mensch, der niemandem mehr etwas beweisen muss), und dieser Mann sucht aktiv seine Gesellschaft. Ein äußerst berühmter Spekulant und Milliardär ruft Nero regelmäßig an, um ihn um seine Meinung zur Bewertung bestimmer Derivate zu fragen. Aber zugleich war Nero besessen davon, den Respekt irgendeines überbezahlten Provinzlers mit primitivem New-Jersey-Akzent (»Noo-Joyzy«) zu gewinnen. (Ich an seiner Stelle hätte John meine Verachtung durch meine Körpersprache gezeigt, aber Nero ist nun einmal ein freundlicher Mensch.)
John war eindeutig nicht so gebildet, wohlerzogen, körperlich fit oder intelligent wie Nero – aber damit nicht genug, er war nicht einmal genauso clever! Nero hatte in der Trading-Pit der Chicagoer Börse wahrhaft clevere Menschen kennen gelernt, die eine Situation blitzschnell analysieren konnten. Bei John war davon nichts zu spüren. Nero war überzeugt, dass es sich bei seinem Nachbarn um einen Kleingeist mit übermäßig ausgeprägtem Selbstbewusstsein handelte, der viel Geld verdient hatte, weil er niemals seine Schwächen ins Kalkül zog. Zeitweilig konnte Nero seinen Neid aber nicht
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