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Titel: B00BOAFYL0 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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unterdrücken – er fragte sich, ob dies eine objektive Einschätzung von John war oder ob sie nur daraus resultierte, dass er sich von seinem Nachbarn beleidigt fühlte. Vielleicht war es ja Nero, der nicht zu den besten Händlern zählte. Vielleicht hätte er sich mehr ins Zeug legen oder andere Chancen nutzen sollen, anstatt zu »sinnieren«, Artikel zu schreiben und komplexe wissenschaftliche Arbeiten zu lesen. Vielleicht hätte er im Geschäft mit Hochzinsanleihen aktiv werden sollen, wo er unter oberflächlichen Kollegen wie John brillant gewirkt hätte.
    Daher versuchte Nero, seine Eifersucht zu überwinden, indem er die Regeln der Hackordnung erforschte. Wie Psychologen gezeigt haben, verdienen die meisten Menschen lieber 70 000 Dollar, wenn andere um sie herum 60 000 Dollar mit nach Hause nehmen, als 80 000 Dollar, wenn andere 90 000 Dollar verdienen. Mit Wirtschaft hat das nichts zu tun, dachte Nero bei sich, es geht nur um die Hackordnung. Eine solche Analyse konnte ihn aber dennoch nicht davon abhalten, seine Situation aus absoluter anstatt aus relativer Sicht zu analysieren. Wenn es um John ging, so hatte Nero das Gefühl, dass er trotz seiner intellektuellen Bildung auch nur einer dieser Menschen war, die lieber weniger Geld verdienten, vorausgesetzt, andere verdienten noch weniger als sie.
    Neros Ansicht nach gab es zumindest ein Indiz dafür, dass John einfach nur Glück gehabt hatte. Mit anderen Worten: Es gab Grund zu der Annahme, dass Nero doch nicht von diesem Palazzo für Einsteiger wegziehen musste, den sich sein Nachbar gebaut hatte. Es bestand Hoffnung, dass John eines Tages auf die Nase fallen würde. Denn John schien sich eines gewaltigen, versteckten Risikos nicht bewusst zu sein, dass er eingegangen war: der Gefahr eines »Blow-ups« – ein Risiko, das er nicht erkennen konnte, weil seine Erfahrungen auf dem Markt zu kurz waren (aber auch, weil er nicht tiefsinnig genug war, um die Geschichte zu studieren). Wie konnte John, dieser grobe Klotz, andernfalls so viel Geld verdienen? Im Geschäft mit Risikopapieren ist es von zentraler Bedeutung, dass man seine »Gewinnchancen« kennt und die Wahrscheinlichkeit seltener (oder zufälliger) Ereignisse berechnet. Was wussten solche Hohlköpfe wie John schon über Gewinnchancen? Händler wie er verwenden zu ihrer Berechnung »quantitative Instrumente« – und Nero hält nicht viel von diesen Methoden. Der High-Yield-Markt ähnelt einem Nickerchen auf einem Eisenbahngleis. Eines Nachmittags wird überraschenderweise ein Zug über einen hinwegbrausen. Man kann monatelang Gewinne einstreichen und dann innerhalb weniger Stunden ein Vielfaches seiner kumulativen Wertsteigerung verlieren. Nero hatte das 1987, 1989, 1992 und 1998 bei den Optionsverkäufern mit angesehen. Eines Tages werden Händler von vierschrötigen Sicherheitsbeamten aus dem Börsensaal geführt und verschwinden dann auf Nimmerwiedersehen. Das große Haus war nur geliehen; John könnte als Luxuslimousinenverkäufer irgendwo in New Jersey enden und sich dort bei den neuen Neureichen anbiedern, die sich in seiner Gegenwart zweifellos sehr wohl fühlen würden. Nero kann ein solches Fiasko nicht passieren. Seine bescheidenere Bleibe mit ihren 4000 Büchern gehört ihm ganz allein. Kein Börsenereignis kann sie ihm nehmen. Jeder seiner Verluste ist begrenzt. Seine Ehre als Händler wird niemals in Gefahr sein.
    John hielt Nero seinerseits für einen Verlierer, der noch dazu ein Snob war und viel zu viel Bildung genossen hatte. Nero war seiner Meinung nach in einem reifen Geschäft tätig. John glaubte, dass sein Nachbar schon mit einem Fuß im Grab stand. »Diese Eigenhändler werden bald aussterben«, pflegte er zu sagen. »Die halten sich für klüger als alle anderen, aber in Wirklichkeit sind sie so was von out.«

Ein glühend heißer Sommer
    Im September 1998 wurde Neros Ruf endlich rehabilitiert. Eines Morgens, als er sich auf den Weg zur Arbeit machte, sah er John in seinem Vorgarten ganz gegen seine Gewohnheiten eine Zigarette rauchen. Er trug keinen Anzug. Er wirkte demütig; von seiner üblichen Wichtigtuerei war nichts zu spüren. Nero war sofort klar, dass John gefeuert worden war. Allerdings wusste er nicht, dass sein Nachbar fast sein ganzes Vermögen verloren hatte. Genaueres zu Johns Verlusten werden wir in Kapitel 5 erfahren. Nero schämte sich, weil er Schadenfreude empfand, wie sie Menschen angesichts des Unglücks ihrer Rivalen befällt. Aber er konnte sie

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