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Stunden seinen Patienten die Zähne. Man kann mit Sicherheit sagen, dass John Doe B wegen der Eintönigkeit seiner Karriere lediglich eine sehr geringe Bandbreite potenzieller Resultate erleben würde, wenn er seine Laufbahn vom Abschluss seines zahnärztlichen Studiums bis zum heutigen Tag mehrere tausend Mal durchlaufen müsste (vorausgesetzt, er ist gut versichert). Im günstigsten Fall würde er in den Zähnen der Reichen von der New Yorker Park Avenue herumbohren; im schlimmsten in denen der Bewohner eines halb verlassenen Wohnwagenparks irgendwo in der Provinz. Wenn wir zudem davon ausgehen, dass John Doe B sein Studium an einer renommierten zahnärztlichen Fakultät absolviert hat, ist die Bandbreite der möglichen Ergebnisse noch enger. Wenn aber John Doe A sein Leben eine Million Mal wiederholen müsste, würde er in fast allen Realisierungspfaden als Hausmeister arbeiten (und ewig Lottoscheine kaufen, ohne jemals zu den Gewinnern zu gehören). Nur ein einziges Mal in einer Million Leben würde er tatsächlich im Lotto gewinnen.
Die Vorstellung, nicht nur die beobachteten, sondern auch die nicht realisierten möglichen Resultate zu berücksichtigen, mag absurd klingen. Die meisten Menschen beziehen den Begriff »Wahrscheinlichkeit« auf mögliche zukünftige Ereignisse, nicht auf Ereignisse in der beobachteten Vergangenheit. Ein bereits stattgefundenes Ereignis hat für sie eine Wahrscheinlichkeit von 100 Prozent, ist also sicher. Ich habe diesen Punkt mit vielen Menschen diskutiert, die mir rundheraus vorwarfen, Mythos und Realität miteinander zu verwechseln. Aber Mythen, insbesondere solche, die – wie Solons Warnung – weit in die Vergangenheit zurückreichen, können weitaus mächtiger und lehrreicher für uns sein als die nackte Realität.
Kapitel 2
Bizarre Buchführung
Über alternative Historien, eine probabilistische Sichtweise der Welt, intellektuellen Betrug und die Zufallsweisheit eines Franzosen mit festen Badegewohnheiten. Wie Journalisten dazu erzogen werden, zufällige Ereignisreihen nicht zu verstehen. Warum Sie sich vor geborgter Weisheit hüten sollten: fast alle großartigen Ideen zu Zufallsergebnissen widersprechen den konventionellen Weisheiten. Einiges zum Unterschied zwischen Richtigkeit und Verständlichkeit.
Alternative Historien
Ich beginne mit der Plattitüde, dass man eine Leistung in einem beliebigen Gebiet (Krieg, Politik, Medizin, Geldanlage) nicht an ihren Ergebnissen messen kann, sondern nur an den Kosten der Alternativen (das heißt, was passiert wäre, wenn die Geschichte sich anderes entwickelt hätte). Diese anderen Ereignisfolgen werden als alternative Historien bezeichnet. Sicherlich kann die Qualität einer Entscheidung nicht nur anhand ihres Resultats beurteilt werden, wenngleich diese Meinung anscheinend nur von gescheiterten Existenzen vertreten wird (die anderen schreiben ihren Erfolg der Qualität ihrer Entscheidung zu). Eine solche Meinung kommt auch in den Kommentaren von Politikern zum Ausdruck, die auf dem Weg aus dem Amt den wenigen ihnen noch zuhörenden Damen und Herren von der Presse zu erklären versuchen, dass sie »ihr Bestes getan haben«. Das darauf üblicherweise folgende mitfühlende »Ja, das wissen wir schon« macht die Niederlage nur noch schmerzlicher. Wie die meisten Plattitüden ist auch diese offensichtliche Erkenntnis nicht leicht in die Praxis umzusetzen.
Russisches Roulette
Das seltsame Konzept der alternativen Historien lässt sich an folgendem Beispiel veranschaulichen: Stellen Sie sich vor, ein exzentrischer (und gelangweilter) Industriemagnat würde Ihnen zehn Millionen Dollar bieten, wenn Sie sich bereit erklären, russisches Roulette zu spielen – also einen Revolver, bei dem in einer der sechs Kammern eine Kugel liegt, an den Kopf zu setzen und abzudrücken. Jede mögliche Realisierung dieses Spiels würde als eine Historie gezählt; in der Summe gibt es also sechs mögliche, jeweils gleich wahrscheinliche Historien. Fünf dieser sechs Historien würden Sie reich machen und eine zu einer Zahl in einer Statistik, nämlich zu einer Person mit einem Nachruf mit peinlicher (aber mit Sicherheit origineller) Todesursache. Das Problem dabei ist, dass in Wirklichkeit nur eine dieser Historien realisiert wird, und dem Gewinner der zehn Millionen Dollar würden einige dümmliche Journalisten Bewunderung und Lob zollen (die gleichen Pressefritzen, die auch die Milliardäre auf der Forbes-500-Liste bedingungslos anhimmeln). Wie
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