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und Empirismus kann schlimmer als jeder andere Nonsens sein, wenn er jemandem Vertrauen einflößt (diesen Punkt zu verdeutlichen wird wohl einige Kapitel in Anspruch nehmen). Allerdings war das ein guter Ausgangspunkt, um den Intellektuellen die Verantwortung dafür zu übertragen, Beweise für ihre Thesen zu erbringen. Dieser Wiener Kreis war Brutstätte der Ideen von Popper, Wittgenstein (in seiner späteren Phase), Carnap und unzähligen anderen. Was immer die Vorzüge ihrer ursprünglichen Thesen sein mochten, ihre Folgen für die Philosophie und die wissenschaftliche Praxis waren auf jeden Fall gewaltig. Teilweise macht sich ihr Einfluss inzwischen auch allmählich im nichtphilosophischen intellektuellen Leben bemerkbar, wenn auch erheblich langsamer.
Eine Möglichkeit, zwischen wissenschaftlichen und literarischen Intellektuellen zu unterscheiden, ist die Überlegung, dass ein wissenschaftlicher Intellektueller in der Regel die Schriften eines anderen erkennt, während sein literarisches Gegenstück keinen Unterschied feststellen kann zwischen Passagen, die ein Wissenschaftler geschrieben hat, und Texten wortgewandter Nichtwissenschaftler. Das zeigt sich noch deutlicher, wenn literarische Intellektuelle sich wissenschaftlicher Schlagwörter wie »Ungewissheitsprinzip«, »Gödels Theorem«, »Paralleluniversum« oder »Relativität« bedienen, entweder völlig aus dem Kontext gerissen oder, wie häufig der Fall, in einer genau gegenteiligen Bedeutung als in ihrer wissenschaftlichen Definition. Zur Veranschaulichung dieser Praxis empfehle ich die Lektüre des urkomischen Buchs Eleganter Unsinn von Alan Sokal (als ich diesen Band während eines Flugs las, musste ich so laut und so oft lachen, dass andere Passagiere über mich zu flüstern begannen). Indem man willkürliches Wortgeklingel als wissenschaftliche Referenzen zu Papier bringt, kann man andere literarische Intellektuelle glauben machen, dass ein Text wissenschaftlichen Wert besitzt. Für Wissenschaftler hängt der wissenschaftliche Gehalt ganz eindeutig von stringenten Schlussfolgerungen ab, nicht von zufälliger Bezugnahme auf so grandiose Konzepte wie die allgemeine Relativität oder die Quantenunbestimmtheit. Eine stringente These lässt sich auch ganz allgemeinverständlich formulieren. Wissenschaft ist die rigorose Anwendung einer Methode; sie kann in der einfachsten Prosa erkannt werden. Bei der Lektüre des Buches Das egoistische Gen von Richard Dawkins fiel mir beispielsweise auf, dass der Text zwar keine einzige Gleichung enthält, aber den Anschein erweckt, als sei er aus der Sprache der Mathematik übersetzt worden. Dennoch handelt es sich hier um künstlerische Prosa.
Ein umgekehrter Turing-Test
Der Zufall kann in dieser Angelegenheit hilfreiche Dienste leisten. Denn es gibt eine andere, sehr viel unterhaltsamere Methode, um zwischen Schwätzern und Denkern zu unterscheiden. Man kann bisweilen etwas, was fälschlicherweise für einen literarischen Diskurs gehalten werden kann, mit einem Monte-Carlo-Generator nachbilden; es ist jedoch nicht möglich, zufällig einen wissenschaftlichen Diskurs zu konstruieren. Rhetorik ist zufällig konstruierbar, echtes wissenschaftliches Wissen dagegen nicht. Hier kommt der Turing-Test zur Prüfung künstlicher Intelligenz zum Einsatz – in seiner Umkehrung. Was ist der Turing-Test? Der brillante britische Mathematiker, Exzentriker und Computerpionier Alan Turing dachte sich folgenden Test aus: Ein Computer gilt dann als intelligent, wenn er (im Durchschnitt) einen Menschen so täuschen kann, dass dieser ihn für einen anderen Menschen hält. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass wir einen Menschen als unintelligent bezeichnen können, wenn wir seine Redeweise von einem Computer, der bekanntermaßen keine Intelligenz besitzt, simulieren lassen und einem anderen Menschen damit vorgaukeln können, diese Phrasen seien von menschlicher Hand geschrieben worden. Ist es möglich, völlig zufällig Texte zu generieren, die weitgehend fälschlicherweise für das Werk Derridas gehalten werden können?
Die Antwort lautet offenbar ja. Neben der Täuschung von Alan Sokal (die in dem vor einigen Absätzen erwähnten, urkomischen Buch beschrieben wird), dem es gelang, blanken Unsinn in einer bekannten Fachpublikation veröffentlichen zu lassen, gibt es auch Monte-Carlo-Generatoren, die solche Texte strukturieren und ganze Abhandlungen schreiben können. Füttert man sie mit Texten der »Postmoderne«, können sie
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