B00DJ0I366 EBOK
Mutter direkt nach dem Unfall mit den Plagiaten zu konfrontieren.« Es sind alte Mechanismen, lebenslang eingeübt, die sie zwingen, einen Schuh anzuziehen, der nicht ihrer ist.
»Das glaube ich nicht. Wenn man in der Scheiße steckt, verkraftet man zusätzlichen Schmutz viel besser.«
»Ulkige Theorie!«
Roman lacht. Die Grübchen in seiner Wange vertiefen sich. Seine Lippen und die Haut darum sind großflächig orangerot vom Curry.
»Wenn wir gerade bei der Wahrheitssuche sind«, wagt Sam einen Vorstoß, »würde mich interessieren, warum Sie meine Geschichte ins Netz gestellt haben. Was war der wirkliche Grund?« Roman müsste ein gefühlloser Klops sein, um nicht zu spüren, dass für eine weitere Lüge kein Raum mehr ist. »Und wenn Sie mir jetzt sagen, Sie haben es getan, weil Sie als Journalist im Augenblick kein Bein auf die Erde kriegen und deswegen eine gute Story ausschlachten wollten – ich könnte es verkraften.«
Robert legt sein Besteck weg.
»Ich glaube, ich habe es getan, weil ich mich in Sie verliebt habe.«
Das Stimmengewirr um sie herum scheint abzusterben. Sam betrachtet den Reis, den sie auf ihren Teller gehäuft hat. Ein dampfender, schneeweißer Klumpen. Sie hört das Radio nicht mehr. Ihr Kopf hat sich mit Watte gefüllt; oder mit Reis, denkt sie angesichts ihres Tellers.
»Wie sicher sind Sie sich denn?«, fragt sie.
»Ziemlich.« Er schluckt, greift nach ihrer Hand und hält sie fest. Sam sieht in seine grünen Augen. Lächelt. Drückt seine Finger.
»Sie kennen mich doch gar nicht.«
»Doch. Ich glaube schon.«
Hilfe, denkt Sam. Roman und ich und meine Familie. Wieder eine neue Konfrontation, ein neuer Stress. Wenn es was wird mit Roman, muss ich es ganz anders angehen. Nicht mehr die brave Linie. Nie mehr.
»Hast du eine Meinung dazu?«, fragt Roman.
Sam ahnt nicht einmal, wie lange sie in ihre Grübelei versunken war. Das Essen auf ihrem Teller ist kalt geworden.
37
Nach dem Sturz von der Dachbodenleiter ist Blancas linke Seite blauschwarz. Aber der Schmerz der Prellung ist genauso auszuhalten wie das ständige Stechen in ihrer Hüfte oder die Kopfschmerzen, die, obwohl sie das Medikament gewechselt hat, nicht nachlassen. Blanca hätte größte Lust, die Tabletten in die Mülltonne zu werfen. Sie steht mit bloßen Füßen auf der Terrasse. Ihr ist unerträglich warm, obwohl die Luft nach dem vielen Regen ganz kühl ist.
Nachdem Robert sie heimgefahren hat, wartet sie auf Sam. Sie hat versucht, die Situation zu entschärfen, Victoria zu beruhigen. Sam hat sich wirklich den schlimmsten Augenblick ausgesucht, um ihre Wut herauszuschreien. Victoria steht unter Schock, und Blanca ist froh, dass sie bereitwillig die Beruhigungspillen schluckte, die der Arzt ihr mitgegeben hat.
Schon wieder Tabletten. Verächtlich verzieht Blanca das Gesicht. Lösen wir all unsere Wehwehchen mit Tabletten? Hat nicht früher, als Victoria klein war, ein ›Heile, heile, Segen‹ gereicht? Ein liebevoll gesprochenes Nachtgebet und eine flauschige Decke, die sie sanft über ihre Tochter breitete?
Mag sein, dass genau das die Heilmittel wären, die auch bei Erwachsenen wirken, denkt Blanca. Erwachsene jedoch deckt man nicht zu und man singt ihnen keine Schlaflieder. Wir trauen uns nicht mehr. Wir denken, es ist peinlich. Als wenn es darauf ankäme, ob irgendwas peinlich ist! Warum bringen wir Kindern bei, was Peinlichkeiten sind? Warum legen wir nicht das Hauptaugenmerk auf die Liebe?
Die Liebe hört niemals auf.
Steht sogar in der Bibel, denkt Blanca. Sie fühlt sich erschöpft und ausgepumpt. Sie hat vor vielen Jahren einen schweren Fehler begangen. Gut machen kann sie ihn jetzt nicht mehr. Wie auch? Soll sie Sam die Information geben, nach der sich das Mädchen verzehrt? Und kann sie diesen Schritt ohne Victoria tun, ohne Robert? Außerdem sind da ja die beiden Brüder! Igor, der Schwierige, mit dem Sam nicht kann. Nikolaj, der es bisher jedem leichtgemacht hat. Erst jetzt, wo er bei einer Frau wirklich ernste Absichten hat, sorgt er für Konflikte. Wurde auch Zeit, denkt Blanca. Es ist so eigenartig, findet sie, wie die Muster sich in einer Familie wiederholen. Sam kann nicht mit Igor, denn Sam ist Grace ähnlich und Igor seiner Mutter. Der alte Kampf, der von Neuem aufflammt. In zwei neuen Menschen!
Blanca sinkt auf einen Terrassenstuhl, der feucht ist vom Regen. Sie achtet nicht darauf. Worauf kommt es schon noch an? Sie selbst kann nichts mehr in Ordnung bringen. Sie hat Sam die
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