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Babel 17

Babel 17

Titel: Babel 17 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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mußte es versuchen, verstehen Sie. Immerhin lebte es noch länger als zwei Stunden in diesem Tank.« Er zeigte mit dem Daumen über seine Schulter zu einem Operationstisch, wo der Körper der Frau lag – seziert. War es vielleicht eine Vorliebe für solche Sektionen, die ihm zu seinem Beinamen verholfen hatte? Er schaltete das Licht über dem Tank aus und kam um den Tisch. »Was wünschen Sie?« fragte er.
    »Kapitän Tarik legt den Kurs für die nächsten Monate fest. Ich möchte wissen, ob er mich zum Hauptquartier der Allianz bringen kann. Ich muß einige wichtige Informationen über die Invasion abliefern. Mein Pilot sagt, die Specelli-Region umfasse ungefähr zehn hyperstatische Einheiten; mit einem der Boote wäre das zu überbrücken. Kapitän Tarik könnte mit seinem Schiff in der radiogestörten Zone bleiben. Sollte er mich zum Hauptquartier bringen wollen, so würde ich mich für seine Sicherheit und für freien Abzug verbürgen.«
    Er beäugte sie skeptisch. »Was würde eine solche Bürgschaft wert sein?«
    »Ich kann Ihnen ein Empfehlungsschreiben von General Forester zeigen, wenn Sie …«
    Er betrachtete sie eine Weile forschend, dann schaltete er die Bordsprechanlage ein und drückte eine Nummer. »Tarik?«
    Er hatte den Raumlautsprecher nicht aktiviert, so daß sie die Antwort nicht hören konnte.
    »Kapitän Wong möchte zum Allianzhauptquartier. Verbürgt sich für unsere Sicherheit und so weiter. Kannst du für den ersten Zyklus einen Flug die Drachenzunge hinunter einplanen?«
    Eine kurze Pause.
    »Ich glaube, es kann nicht schaden. Waren lange nicht dort.«
    Er nickte zu dem unverständlichen Gewisper, dann sagte er: »Es ist gestorben, wie zu erwarten war«, und schaltete aus. »Alles klar. Tarik wird zum Hauptquartier fliegen.«
    Sie starrte ihn in ungläubiger Verblüffung an, unfähig zu begreifen, daß man ihrer Bitte so rasch und ohne alle Umstände entsprochen hatte. »Nun, vielen Dank«, begann sie, »aber Sie haben mich nicht mal gefragt, warum ich …«
    Aber der Schlächter lächelte sie an und winkte ab, und sie wollte zurücklächeln, doch dann fiel ihr Blick auf den toten Fötus, der hinter ihm in der dunklen Flüssigkeit schwamm, und sie sagte statt dessen noch einmal: »Danke.«

 
3.
     
    Die hölzernen Tische in der Mannschaftsmesse wurden für das Abendessen gedeckt. Rydra Wong saß an ihrem Platz und sah den geschäftigen Vorbereitungen zu. Das Mädchen, das ihnen die Hühnersuppe gebracht hatte, blickte neugierig und furchtsam zu ihr herüber, dann verflog die Neugierde zu Gleichgültigkeit, und sie eilte fort, mehr Messer, Löffel und Gabeln aus den Wandfächern zu holen.
    Rydra fragte sich müßig, was geschehen würde, wenn sie ihre Wahrnehmungen der Bewegungen und Verhaltensweisen in Babel 17 übersetzte. Es war mehr als eine Sprache, soviel wußte sie jetzt; es war auch eine flexible Matrize analytischer Möglichkeiten, wo eine Bezeichnung, ein Wort vielerlei Bedeutungen hatte. Wie würden sich die Spannungen und Sehnsüchte in einem menschlichen Gesicht in den vielfach geschliffenen Facetten dieses umfassenden Mediums spiegeln? Vielleicht würde das Zucken von Augenlidern und Fingern zu Mathematik werden, ohne unmittelbare Bedeutung. Oder vielleicht … Während sie dachte, wechselte ihr Verstand in die schnelle Kompaktheit von Babel 17 über, und sie ließ ihre Blicke umhergehen – nicht so sehr unter den Gesichtern, sondern unter den Stimmen. Aber es waren auch nicht genau die Stimmen selbst, sondern die Gehirne, die die Stimmen machten, ein Durcheinander vielfach verflochtener Gedanken, ausgehend von den Kristallisationspunkten der verschiedenen Persönlichkeiten. So wußte sie, daß der Mann, der jetzt die Messe betrat, der trauernde Bruder des im Kampf gefallenen Schweinsfuß war, und daß das Mädchen, das sie bedient hatte, ein tragisches Liebesverhältnis mit einem toten Jungen aus der Sensorischen Abteilung hatte, der sie in ihren Träumen heimsuchte.
    Der dominierende Gedanke in dem weiten Raum, der sich allmählich mit Männern und Frauen füllte, galt dem bevorstehenden Hunger. Essen und Liebe waren die Leitmotive, die in hundert Variationen wiederkehrten. Nun kam der vertraute Ansturm von jugendlicher Konfusion und unbekümmerter Heiterkeit, als die hungrige Mannschaft der »Rimbaud« in den Saal stürmte, überwacht von einem sorgenvollen Steward, und dann, inmitten aller Aufwallungen von Gier und Erwartung – eine Angst! Sie dröhnte wie ein

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