Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Babel 17

Babel 17

Titel: Babel 17 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
Vom Netzwerk:
von denen.« Er wandte sich zum Schlächter. »Es war wieder einer fällig, nicht wahr? Ungefähr alle sechs Monate einer. Ich bin Ihnen dankbar, Kapitän Wong.«
    Der Schlächter trat vor und nahm Cord das Messer aus der Hand. Cord stand wie gefroren, nur seine Augen tanzten, und Rydra hörte seinen keuchenden Atem die Stille abmessen, während der Schlächter, ein Riese neben der dünnen, schmächtigen Gestalt, das Messer untersuchte. Es war ein Jagdmesser mit einer breiten, bläulichen Stahlklinge, klebrig vom Gift, in das er sie getaucht hatte, und einem Heft aus Horn oder Knochen, unregelmäßig gerieft und mit Walnußfarbe gefärbt.
    Mit seiner freien Hand griff der Schlächter in Cords schwarze Haare. Dann, nicht besonders schnell, stieß er das Messer bis zum Heft in Cords rechtes Auge.
    Die schrecklichen Schreie wurden ein Gurgeln. Die wild schlagenden Hände erschlafften. Der Schlächter ließ die langen Haare seines Opfers los, und Cord fiel in sich zusammen, lag zuckend und sterbend.
    Rydras Herz schlug gegen ihre Rippen. Ihr Magen krampfte sich zusammen und erfüllte sie mit einem Gefühl von Übelkeit. Sie stammelte entsetzt einen Protest und verstummte wieder.
    Der Schlächter, den rechten Arm bis zum Ellbogen mit Blut bespritzt, blickte sie kalt an. »Wer im Schiff mit einem Messer auf Tarik oder einen Gast losgeht, muß sterben.«
    »Miß Wong«, sagte Tarik, »nach dem, was ich gesehen habe, war Cord tatsächlich gefährlich. Er hatte sein Messer vergiftet, und ich zweifle nicht daran, daß er die Absicht hatte, mich zu ermorden. Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet, und ich hoffe, diese Reise die Drachenzunge hinunter wird Ihnen beweisen, daß ich bereit bin, mich erkenntlich zu zeigen.«
    »Danke, aber …« Sie schluckte und fühlte kalten Schweiß auf ihrer Stirn, kippte vorwärts, benommen und halbblind. Der Schlächter fing sie auf.
     
    Wieder der runde, warme, blaue Raum. Aber sie war allein und konnte endlich über das nachdenken, was in der Mannschaftsmesse geschehen war. Es war nicht, was sie Mocky wiederholt zu beschreiben versucht hatte. Es war, was Mocky gemeint hatte: Telepathie. Aber wie es schien, war Telepathie die Verbindung von altem Talent und einer neuen Denkweise. Sie eröffnete Welten der Wahrnehmung und des Handelns. Sie erinnerte sich, wie die Zeit sich scheinbar verlangsamte, wenn sie in Babel 17 dachte, weil ihre Denkprozesse beschleunigt wurden. Wenn es eine entsprechende Beschleunigung in ihren körperlichen Funktionen gab, dann mochte ihr Körper dem nicht gewachsen sein.
    Die Tonaufzeichnungen von der »Rimbaud« ließen erkennen, daß der nächste Sabotageakt dem Verwaltungshauptquartier der Allianz gelten würde. Wenn sie rechtzeitig hinkäme, würde sie den Leuten ihr Wissen über die Sprache, ihr Vokabular und ihre Grammatik geben und sich zurückziehen. Sie war sogar geneigt, die Suche nach dieser mysteriösen Sprecherin, die für sie den Startbefehl gegeben hatte, anderen zu überlassen. Aber nein, diesem Rätsel mußte sie selbst auf die Spur kommen. Es gab noch immer etwas …
    Sie schlief ein und schreckte aus unruhigem Schlummer wieder auf. Des Schlächters selbstlose Brutalität war bei all ihrer primitiven Schrecklichkeit immer noch menschlich; mit seinen blutigen Händen war er sicherer und weniger gefährlich als die Präzision einer linguistisch verbesserten Welt. Tariks Grausamkeiten und Freundlichkeiten existierten innerhalb der artikulierten Grenzen der Zivilisation. Aber diese einfache, blutige Bestialität – faszinierte sie!

 
4.
     
    Sie schwang ihre Beine aus der Hängematte, wartete, bis das leichte Schwindelgefühl sich gelegt hatte, stand auf und verließ den Raum. Seit mehr als einer Stunde fühlte sie sich besser, aber sie war liegengeblieben und hatte nachgedacht, dankbar für die Stille und die Zurückgezogenheit.
    Während ihrer Ruhe hatte die Nachtschicht begonnen, und die Korridore waren verlassen. Statt die Richtung zur Mannschaftsmesse einzuschlagen, ging sie durch einen Korridor, den sie noch nicht kannte. Das Licht, normalerweise weiß, wurde nach zehn Metern gelb, dann orange und rot, schließlich blau.
    Das Blau vertiefte sich, und der Korridor öffnete sich in einen Raum von ungewisser Größe und Höhe, dessen Begrenzungen sich in Dunkelheit verloren. Bevor ihre Augen sich hinreichend an die Finsternis gewöhnen konnten, um Einzelheiten auszumachen, trat ihr ein Mann entgegen. »Schlächter?«
    Er blieb vor ihr stehen und

Weitere Kostenlose Bücher