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Babel Gesamtausgabe - Band 1-3

Babel Gesamtausgabe - Band 1-3

Titel: Babel Gesamtausgabe - Band 1-3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Winter
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die magischen Energien, die sie umgaben, für sich beanspruchen sollten, und sie mussten erst lernen, sie zu teilen.
    Aber davon wollte Christian nichts hören. Er glaubte immer noch, seine Töchter besäßen lediglich Dickschädel und müssten deshalb eben manchmal aneinandergeraten.
    Maria wünschte, es wäre so einfach.
    Während sie sich setzte, fragte sie ungehalten: »Was ist denn nun schon wieder?«, und sofort kam Judith angerannt, um auf ihren Schoß zu klettern. Kein leichtes Unterfangen mit dem Hund im Arm. Dabei berührte ihr kleines Gesicht Marias Bluse, wo es Spuren zweifelhafter Feuchtigkeit hinterließ. Missmutig zog Maria die Augenbrauen zusammen.
    Als ihre Jüngste endlich dort saß, wo sie hinwollte, strich Maria ihr die hellen Strähnen aus dem Gesicht und wischte mit einer Serviette den herunterlaufenden Rotz von der Nase. Große dunkelblaue Augen sahen zu ihr auf, aus denen es ununterbrochen floss.
    »Also?«, fragte sie noch einmal, aber Judith war so aufgebracht, dass sie außer Hicksern nichts hervorbrachte. Daher versuchte Maria ihr Glück bei Babel, deren ehemals weiße Strümpfe inzwischen grasgrün waren. »Willst du mir vielleicht erklären, was schon wieder bei euch los war?«
    Nur langsam hob Babel den Kopf, um ihre Mutter zwischen ihren Haarsträhnen hindurch anzusehen, wie sie es immer tat, wenn sie testen wollte, ob wirklich eine Antwort von ihr verlangt wurde. Der Blick der grauen Augen war ruhig, fast distanziert, und viel zu alt für ein Mädchen, das gerade seine ersten Sätze schreiben lernte.
    Wenn Maria ihre Töchter so nebeneinander sah, kam sie nicht umhin, die gravierenden Unterschiede zwischen ihnen festzustellen. Die meisten Leute bemerkten schnell, dass Judith die Aufgewecktere von beiden war. Sie lachte viel und verfügte über eine überschäumende Energie. Kaum eine Minute konnte sie still stehen, immer gab es für sie etwas zu entdecken.
    Babel hingegen war ruhiger, nachdenklicher. Oft konnte sie stundenlang in einer Ecke sitzen, in der sie Gott weiß was sah – wie eine Katze, die eine Maus belauerte. An den meisten Kinderspielen fand sie wenig Gefallen und tat das auch kund. Sie war in allen Dingen viel zögerlicher als ihre jüngere Schwester, skeptischer, aber auch anspruchsvoller. Daher war es nicht verwunderlich, dass Judith stets schneller Anschluss fand als ihre Schwester und ihr die Herzen der Leute nur so zuflogen. Alles an ihr schien einen Ton freundlicher; als hätte der Charakter auch das Äußere bestimmt. Ihr Haar war so hell wie Porzellan, während Babels von einem tiefen Blond war. Wo Judiths Augen strahlend blau leuchteten, blickten einem aus Babels Gesicht graue Augen entgegen.
    Als hätte jemand einen Schleier über Babel gelegt, der sie verdunkelte.
    Über die eigenen Gedanken erschrocken, schüttelte Maria den Kopf. Laut hätte sie es nie zugegeben, aber manchmal überlief sie eine Gänsehaut, wenn sie Babel anschaute, und eine unbestimmte Furcht überfiel sie. Als würde Babel eines Tages auf Wegen wandeln, auf denen Maria ihr nicht folgen konnte. Schon jetzt war zu erkennen, dass sie über sehr viel magisches Potenzial verfügte, und die Möglichkeiten, die eine solche Macht mit sich brachte, konnten immer Fluch und Segen gleichzeitig sein.
    »Sie ist dumm«, sagte Babel plötzlich, und ihre Stimme zitterte vor Aufregung, während ihre kleinen Finger weiterhin die Gabel fest umklammerten und die Zinken über den Teller schabten.
    »Das ist aber nicht nett, so etwas zu sagen«, erwiderte Maria und stützte das Kinn in die Hand.
    Babels Gesicht verzog sich in der typischen Manier eines Kindes, das sich ungerecht behandelt fühlt.
    »Ist aber wahr!«, stieß sie hervor, worauf Judith erneut laut aufschluchzte. Unwillig presste Babel die Lippen aufeinander.
    »Warum sagst du das über deine Schwester?«
    »Weil sie immerzu Angst hat.«
    »Wovor denn?«
    Wieder dauerte es eine Weile, bis Babel antwortete, und ihre Worte waren so leise, dass Maria Mühe hatte, sie zu verstehen. »Vor Urgroßmutter Käthe …«
    Beunruhigt schaute Maria auf Judith herab, die inzwischen dazu übergegangen war, das bereits nasse Ohr des Stoffhunds in den Mund zu stecken und darauf herumzukauen. Auf Marias Frage: »Ist das wahr?«, brachte sie nur ein erneutes, gedämpftes »… hicks …« heraus.
    »Himmel noch mal. Macht jetzt mal eine von euch den Mund auf, oder muss ich euch alles aus der Nase ziehen?« Manchmal glaubte Maria wirklich, dass sie die stursten

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