Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
kann es im Raum kühler werden, das ist normal«, sagte sie, bevor sie mit dem Ritual begann. Sie streckte sich und versuchte die Muskeln zu lockern, um spätere Zerrungen zu vermeiden. Bevor sie den Kreis betrat, aktivierte sie ihr magisches Netz, das wie eine Fackel entflammte. Die Macht, die ihm innewohnte, wärmte Babel von innen, und sie konnte spüren, wie sich die Magie im Raum verteilte.
»Ich kann es auf der Haut spüren«, sagte Tom und fuhr sich mit der flachen Hand über den Arm. Seine Augen leuchteten beinahe, und fasziniert tastete Babel die Energiewellen ab, die von ihm ausgingen. Die besondere Herkunft der Plags war deutlich darin zu lesen.
»Es ist, als könnte ich dich auf der Zunge schmecken.«
Sie lächelte. »Das sind die magischen Energien. Wenn du an einer Batterie leckst, erzeugst du einen ähnlichen Effekt.«
Sein Blick wurde noch eindringlicher, und sie fragte sich, ob er seine hypnotischen Kräfte aktiviert hatte. Sie musste keine Hellseherin sein, um zu wissen, woran er in diesem Moment dachte. Als Babel das letzte Mal mit einer anderen Ebene in Kontakt gekommen war, hatte sie fast nicht mehr zurückgefunden. Tom sah aus, als würde er damit rechnen, dass sie jeden Moment das Bewusstsein verlor.
Sie konzentrierte sich auf sein Energiemuster, eine sanft pulsierende Wärmequelle, die ihr den Weg weisen würde, sollte sie die Orientierung verlieren.
Aufmunternd lächelte sie ihm zu, dann goss sie die Milch in die Schüssel und fügte so lange Knochenasche hinzu, bis das Ganze einen matschigen Brei ergab, während die Magie um sie herum floss. Babel hätte solcher Hilfsmittel nicht wirklich bedurft, doch dann würde sie das Ritual noch Tage später in den Gliedern spüren, und ihre kaum verheilten Rippenbrüche ließen diese Aussicht nicht gerade verlockend erscheinen.
Hexen griffen bei ihren Zaubern oft auf Symbole oder Sprüche zurück, die es ihnen erleichterten, sich auf die magischen Energien zu konzentrieren. Dabei nutzten sie häufig Bilder, die im kollektiven Unbewussten eine Rolle spielten, denn sie waren mythisch aufgeladen und leicht vorstellbar. In Sekundenbruchteilen lösten sie eine Assoziation im Betrachter aus.
Knochen und Milch – das eine stand für das, was übrig blieb vom Leben, das andere für die Anfänge des Lebens. Ihre Verbindung symbolisierte das Ineinanderfließen der Ebenen, und genau darum ging es Babel.
Noch einmal atmete sie tief durch, bevor sie beide Hände in die Schüssel tauchte. Als ihre Fingerspitzen den kühlen Brei berührten, spürte sie schon die Verschiebung der Ebenen. Auf der Zunge konnte sie den Geschmack nach Apfel wahrnehmen, und den Raum durchzog ein schwacher rauchgrauer Nebel. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Aufregung, Neugier und Furcht wechselten sich mit jedem Schlag ab, und auf ihrer Stirn bildete sich Schweiß, der ihr an der Schläfe hinunterlief.
Du kannst das, es ist nicht dasselbe. Versuchung schmeckt anders.
Eisfarbene Schemen bildeten sich in der Luft, die nur sie sehen konnte. Ihre Gesichter waren nicht zu erkennen, doch keiner glich dem anderen. Nicht ein einziger dieser Schemen redete mit ihr. Babel kannte sie nicht. Vielleicht waren es Leute, die früher einmal in der Nachbarschaft gelebt hatten. Hinter ihren kalten Geistererscheinungen konnte sie noch immer Toms Energie spüren, warm und stetig, wie seinen Herzschlag.
Sie versuchte, ihr Anliegen im Kopf so deutlich wie möglich zu formulieren, damit der Gedanke in der Totenebene weitergetragen wurde. Sie hatte nie verstanden, wie die Kommunikation mit den Toten funktionierte – es war, als wäre Sprache nicht mehr nötig; die Toten wussten einfach, was die Hexe, die den Kontakt mit ihnen suchte, von ihnen wollte. Als würde allen Gedanken ein unsichtbarer Stoff anhaften, den sie wie einen Geruch wahrnehmen konnten.
Nach einer Weile bildete sich ein neuer Schemen und näherte sich ihr bis auf eine Armlänge.
Diesen einen erkannte sie sofort. Sie hätte diese Aura überall und auf jeder Ebene erkannt, so vertraut war sie ihr. Dem Schemen hing immer noch etwas schwach Magisches an, wie es für Hexen typisch war. Innerhalb weniger Wochen sah sie ihn nun schon zum zweiten Mal auf der Totenebene, doch der Anblick erschütterte sie noch immer.
Hilmar.
Nachdem er ihr verziehen und sie die Schuld über seinen Tod endlich hinter sich gelassen hatte, konnte sie ihn ansehen, ohne diesen brennenden Schmerz über den Verlust zu spüren. Jetzt überkam sie eine
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