Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
sanfte Melancholie, die mit Bedauern einherging.
Der Schemen legte den Kopf schief, als wolle er sagen: Was machst du schon wieder hier?
Ich suche jemanden. Kannst du sie auf dieser Ebene für mich finden?
Vorsichtig zog sie die Hand aus dem Brei und griff nach dem Notizbuch, das sie aus Sonjas Wohnung mitgebracht hatte. Langsam tauchte sie das Buch in der Schüssel unter, bis es mit dem Milch-Knochen-Gemisch vollständig bedeckt war und seine Energien darauf übergingen. So übertrug sie das Energiemuster in die Totenebene, damit es der Schemen erkennen konnte.
Langsam entfernte er sich von ihr und löste sich auf, da wusste sie, dass er sich für sie auf die Suche begeben würde.
Während Babel auf ihn wartete, kamen die anderen Schemen näher, unwiderstehlich angezogen von der pulsierenden Lebensenergie, die von Babel ausging. Mit ihnen kam auch die eigenartige Kälte näher und erfasste sie wie ein Wind. Sie konzentrierte sich auf Toms Wärme. Die Gefahr bei den Toten bestand darin, dass man sich von ihrer Ruhe zu sehr angezogen fühlte. Ewige Ruhe war verlockend, denn in ihr fanden sich keine Sorgen, keine Begehrlichkeiten mehr, die den Lebendigen die Glieder schwer machten und das Herz zusammendrückten.
Als Hilmar nach einer Weile zurückkehrte, war er allein. Unruhig konzentrierte sie sich auf den Raum um ihn herum, aber es versteckte sich kein weiterer Schemen hinter ihm.
Obwohl Babels Geist in einer anderen Ebene unterwegs war, war die Verbindung mit ihrem Körper stark genug, um die Übelkeit zu spüren, die sie erfasste.
Wo ist sie? Hast du sie vielleicht übersehen?
Der Schemen schwankte hin und her: das Nein der Toten.
Babel verfluchte das Gefühl in ihrem Magen, das sie dazu veranlasst hatte, dieser Sache nachzugehen. Jetzt bekam sie die Bestätigung dafür, dass tatsächlich etwas nicht stimmte. Sie hegte keinen Zweifel daran, dass Madame Vendome tatsächlich tot war, und wenn sie auf der Totenebene nicht zu finden war, konnte das nur eines bedeuten …
Du hast es doch geahnt. Die ganze Zeit hast du schon daran gedacht. Nun sprich es auch aus.
Nekromantie.
Hilmar kam noch einmal dicht an sie heran, seine Nebelfinger berührten beinahe ihre Wange, zogen sich aber im letzten Moment zurück, als hätte er selbst Angst, sie zu berühren. Vielleicht spürten die Toten manchmal doch so etwas wie Sehnsucht. Und die konnte die Ruhe immer stören.
Babel verstand das.
Langsam zog sie die Hände aus der Schüssel und glitt auf ihre eigene Existenzebene zurück. Einen Moment lang war ihr schwindelig, als sich ihr Bewusstsein an die neuen Sinneseindrücke gewöhnte. Ihr Keuchen klang laut in dem stillen Kellerraum.
»Alles in Ordnung?« Tom sah sie besorgt an. »Du bist blass wie ein Laken.«
»Alles prima.«
»Glaub ich dir sofort.« Er stand auf und kam zu ihr herüber.
Mit dem Handgelenk wischte sie über den Boden, sodass der Kreidekreis unterbrochen wurde. Danach konnte er sich neben sie knien und ihr die Hand auf die Schulter legen, während sie sich den langsam hart werdenden Brei von den Händen wischte.
»Was hast du erfahren?«, fragte er, doch es dauerte einen Moment, bis sie die Kraft fand, ihm zu antworten.
»Sie ist tot … aber sie ist nicht … sie ist nicht auf der Totenebene.«
»Wie kann das sein?« Ungläubig schaute er sie an, und es graute ihr davor, laut auszusprechen, welche Ursache dieses Phänomen haben musste.
»Jemand hat die Tote zurückgeholt.«
Schweigend saßen sie sich gegenüber, bis er den Mut fand, endlich zu fragen, was ihm durch den Kopf ging.
»Hast du dich je damit auseinandergesetzt?«
»Nein.« Sie sah auf ihre Hände, auf denen die Reste des Breis trockneten und rissig wurden. »Ich habe viele Fehler gemacht, aber diesen einen nie.«
Oft genug hatte sie die Totenebene betreten, doch nur, um die Toten zu befragen, niemals, um einen von ihnen in einen neuen Körper zu pressen, der ihr zu Diensten sein musste. Dazu besaß sie viel zu viel Respekt vor den Schemen und ihrer Ruhe.
»Versteh mich nicht falsch, Tom. Ich will dir nicht verheimlichen, dass mir Scyomantie leichtfällt. Das war schon immer so, die Toten kommen zu mir, selbst wenn ich sie nur schwach rufe. Schon als Kind konnte ich das gut, es liegt an der Art, wie meine Magie funktioniert, aber Zombies …« Sie schüttelte den Kopf. »… sind nicht mein Ding.«
Die Abscheu, die er bei dem Thema empfand, zeigte sich deutlich auf seinem Gesicht, und sie konnte ihm nicht verübeln, dass er
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