Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
ihnen gewarnt. Mit solchen Tätowierungen ist es nicht schwierig zu erkennen, was er ist.«
»Sei doch bitte nicht so engstirnig, Babel.« Theatralisch hob Judith die Arme. »Auguste ist kein Nekromant!«
»Willst du mir ernsthaft erzählen, dass da unten kein Ombre in meiner Küche steht?«
»Könntest du dich bitte beruhigen?« Judith beäugte misstrauisch, wie das Schwarz Muster wie Peitschenschläge auf der Wand hinterließ.
»Ich habe keine Lust, mich zu beruhigen. Was ist nur los mit dir? Wenn dir jemand eine Kobra ins Haus schleppt, ist das auch kein Grund, ruhig zu bleiben!«
Daraufhin erwiderte Judith nichts, denn sie wusste genau, dass es keine Banalität war, sich mit einem Ombre einzulassen.
Les Ombres war einer der wenigen Geheimbünde von Hexen, die es auf der Welt gab. Obwohl die einzelgängerische Natur der magisch Aktiven jeden Zusammenschluss erschwerte, einte sie in diesem Fall das Interesse für dieses eine Thema, über das selbst in den skrupellosesten Hexenkreisen kaum gesprochen wurde: Nekromantie.
Anfang des letzten Jahrhunderts hatte ein Vodoupriester, der aus Haiti nach Frankreich ausgewandert war, den Kreis gegründet. Der ursprünglich religiöse Charakter war jedoch verloren gegangen, als die Möglichkeiten der Nekromantie stärker hervortraten. Es hatte sich schnell eine Gruppe magisch Aktiver gefunden, die die alten Vodourituale und -symbole für die Magie anpassten.
Ironischerweise betrieben sie genau das, was dem Vodou fälschlicherweise immer nachgesagt wurde.
Hundert Jahre später war von diesem Kreis in der allgemeinen Öffentlichkeit nichts mehr bekannt. Anderen Hexen gegenüber versuchten die Ombres allerdings nicht zu verbergen, was sie waren – davon sprachen ihre Tätowierungen und die Schädel, die sie oft als Schmuck trugen. Es war eine Warnung für jeden, der ihnen begegnete.
Keine Sekunde lang glaubte Babel daran, dass die Geschehnisse der letzten Tage Zufall waren, wenn ein Mitglied des Schattenbundes vor ihrer Tür stand.
»Auguste ist kein Nekromant mehr«, erwiderte Judith noch einmal, als könnte sie Babels Gedanken lesen.
»Glaubst du vielleicht, dass ich irgendwie beschränkt bin?«
»Wenn du mir nicht zuhörst, dann schon.« Ihr Ton war schärfer geworden. Der Blick, der Babel traf, verriet ihre Gereiztheit, und auf einmal spürte Babel, dass an Judith etwas anders war.
Ihr magisches Muster fühlte sich nicht wie gewöhnlich an – als wäre etwas aus dem Gleichgewicht geraten. Eine winzige Verschiebung, die ihr im ersten Moment nicht aufgefallen war. Judiths magische Energielinien zitterten, als stünden sie unter Strom.
Babels Wut flaute ebenso schnell ab, wie sie gekommen war. Sie schloss die Tür hinter sich, damit man sie von unten nicht hören konnte, und fragte: »Was hast du für Schwierigkeiten?«
»Wer sagt, dass ich welche habe?«
»Die Tatsache, dass du mich nicht ansiehst, zum Beispiel. Aber ich habe noch mehr Indizien. Siehst du, da ist zum einen dein Fernbleiben, nachdem du dich doch im Krankenhaus angekündigt hast. Und nicht nur das – auch Maria kann dich plötzlich nicht mehr erreichen. Weswegen sie sich genötigt fühlte, bei mir anzurufen. Da habe ich mir allerdings noch nichts weiter gedacht. Wie es aussieht, hätte ich das mal besser tun sollen.« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Dann tauchst du plötzlich hier auf, einen Ombre im Schlepptau. Sehen Sie, Euer Ehren, das alles sind vielleicht keine Beweise, aber als Indizien ziemlich brauchbar, finden Sie nicht?«
Judith schwieg beharrlich, den Blick finster auf Babel gerichtet, als hätte die irgendwie das Spiel verdorben.
»Raus mit der Sprache. Ich merke, dass etwas an deinem Magienetz verkehrt ist.«
Mit geschlossenen Augen massierte sich Judith die Schläfen. »Was du da spürst, ist nicht Augustes Einfluss oder die Totenenergie, die an ihm haftet«, sagte sie. »Es sind die Toten, die sich an mein Netz gehängt haben. Irgendjemand hat mich mit einem Fluch belegt und Tote auf mich angesetzt.«
Erschrocken schnappte Babel nach Luft.
»Am Anfang hab ich es gar nicht gemerkt. Ich war ein bisschen nervös und zerstreut, aber das kommt schließlich vor. Solche Tage haben wir alle mal, nicht wahr?« Sie sah Babel nach Bestätigung suchend an. »Aber es wurde nicht besser, nur schlimmer. Ich habe Sachen vergessen. Telefonnummern, die ich seit Jahren auswendig kann. Dinge, die ich keine Minute zuvor gelesen hatte, oder auch, mit wem ich zum Mittagessen verabredet war.
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