Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
schon, Babel, schau ihn dir an. Wie soll man da Nein sagen?«
Einen Moment lang wusste Babel nicht, was sie sagen sollte, so unglaublich fand sie Judiths Benehmen. Fassungslos starrte sie ihre Schwester an. Manchmal war Judiths Leben so viel einfacher als ihres. Ihr Gemütszustand entsprach in vielerlei Hinsicht dem eines Kindes. Sie sah etwas, das ihr gefiel, also nahm sie es sich. Dabei spielte es nur eine geringe Rolle, ob es eine Handtasche, ein neues Paar Schuhe oder eben ein Mann war.
»Hast du irgendeine Ahnung, wer die Toten auf dich angesetzt hat?«
»Nein.« Judith schüttelte den Kopf. »Das ist ja gerade das Merkwürdige. In der Stadt ist kein Nekromant aufgetaucht, das hätte Auguste gemerkt. Es muss also jemand von außerhalb sein.«
Das erschwerte natürlich die Problembeseitigung.
»Bist du jemals mit einem Nekromanten aneinandergeraten?«
»Nicht dass ich wüsste.«
Babel atmete ein paar Mal tief durch. »Das ist wirklich keine Kleinigkeit, Judith. Wer immer dahintersteckt, will dich nicht nur für eine Weile lahmlegen. Er will, dass du für immer verschwindest.«
»Glaubst du vielleicht, das weiß ich nicht?«, rief ihre Schwester laut. »Es ist ja nicht gerade so, als hätte ich mir bloß eine Magen-Darm-Grippe eingefangen. Irgendjemand hat ziemlich viel in Bewegung gesetzt, um mich tot zu sehen, das ist mir schon klar.«
»Tut mir leid«, sagte Babel leise. »Aber hast du jemanden in Verdacht? Eine andere Hexe, mit der du aneinandergeraten bist? Neuzugänge in der Stadt?«
»Bei uns ist nie viel los. Außer mir gibt es nur zwei Hexen in der Stadt, und natürlich Auguste. Es läuft alles ziemlich ruhig ab, wenn du mich fragst.«
»Es muss jemanden geben. Mach eine Liste. Vielleicht kann Karl etwas für dich rausfinden.«
»Glaubst du wirklich, dass das was bringt?«
Irritiert sah Babel sie an. »Was willst du sonst tun? Die Toten werden nicht einfach verschwinden, wenn sie sich einmal an dein Netz gehängt haben. Du kannst diese Sache nicht aussitzen.«
»Ich weiß.« Judiths Blick wurde schuldbewusst, und auf einmal ahnte Babel, worauf dieser Besuch hinauslief.
»Vergiss es. Als Nekromant kann Auguste dir mit dem Totenproblem helfen, dazu brauchst du mich nicht.«
»Du verstehst nicht, Babel. Er hat der Nekromantie abgeschworen und ist kein Mitglied der Ombres mehr. Er will nie wieder dahin zurück. Deswegen ist er aus Frankreich weg. Wenn ich ihn jetzt bitte, die Toten aus meinem Netz zu lösen, wissen wir nicht, ob er während des Rituals nicht wieder der Totenenergie verfällt.«
Ihr Blick sagte: Du müsstest das doch verstehen , und widerwillig nickte Babel. Ja, sie verstand das. Wenn er sich wirklich davon lösen wollte, durfte er nicht rückfällig werden.
»Aber das ist keine einfache Magie, Judith. Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin …« Sie schüttelte den Kopf. Sie war zuvor ohne Probleme in die Totenebene gewechselt, aber das, was Judith von ihr erwartete, war ein ganz anderes Kaliber. Es erforderte deutlich mehr Kraft, und die Gefahr, sich in der anderen Ebene zu verlieren, war größer. »Ich versuche auch gerade, da was in den Griff zu kriegen …«
»Das gelingt dir ja sehr gut.« Sie grinste schief und deutete auf Babels Gesicht.
»Und ich dachte schon, du siehst es nicht. Immerhin hast du seit deinem Erscheinen hier nichts erwähnt.«
Judith stand auf und kam zu ihr herüber. Sie griff nach Babels Hand. Ihr magisches Netz sandte ein bekanntes Kribbeln über Babels Haut. Die Energielinien waren ihr beinahe so vertraut wie ihre eigenen.
»Hör mal, Babel«, sagte sie leise. »Ich mach das nicht gern … dich darum zu bitten. Aber ich weiß, dass du das packen kannst. Deshalb frage ich. Ich weiß nicht, zu wem ich sonst gehen könnte, und für mich selbst ist das Ritual zu kompliziert. Du weißt, dass ich mit den anderen Ebenen nicht gut umgehen kann.« Der letzte Satz war nur noch ein Flüstern, und Babel seufzte schwer.
Sie fuhr sich mit der freien Hand müde über die Augen. »Das höre ich in letzter Zeit öfter, aber dadurch wird es nicht wahrer. Außerdem erinnere ich mich noch gut an Zeiten, in denen du alles andere als überzeugt warst, dass ich meine Magieprobleme in den Griff kriege.«
Schuldbewusst blickte Judith zu Boden.
»Warst du es nicht, die mir immer gesagt hat, ich soll mich von den anderen Ebenen fernhalten?«
Komisch, nach all dieser Zeit schmerzte es sie immer noch, dass Judith ihr damals den Rücken zugekehrt hatte, als sie
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