Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
sie so nötig gebraucht hätte, und ihre Schwester schien das auch zu wissen.
»Ich weiß, dass ich dir nicht die Hilfe war, die ich vielleicht hätte sein können«, antwortete sie. »Aber du darfst nicht vergessen, wie jung wir damals beide waren. Ich hatte einfach Angst.«
Das konnte Babel ihr nicht verübeln. Als sie Sam kennenlernte, hatte sie mit ihm zusammen die Dämonenebene erforscht und dabei mehr als nur ein Dutzend Dämonen während kleinerer Blutrituale beschworen. Es war wie ein Rausch gewesen, der sich über fast drei Jahre erstreckt und mit Hilmars Tod, der seither ihr Leben überschattete, geendet hatte.
Während eines dieser Rituale hatte sie sich Judiths Energien bedient, ohne dass ihre Schwester dazu ihr Einverständnis gegeben hätte. Sie war einfach in der Nähe gewesen, eine Energiequelle, die Babel die nötigen Reserven bot, um das Ritual zu Ende zu bringen. Diesen Vertrauensbruch hatte Judith nie ganz verwunden und seit diesem Zeitpunkt Babel gegenüber eine Vorsicht an den Tag gelegt, die es zwischen Schwestern nicht geben sollte.
Es gab überhaupt eine Menge Verletzungen zwischen ihnen, und dass sie Babel jetzt um Hilfe bat, war vielleicht ein größeres Zugeständnis, als Babel auf den ersten Blick begriffen hatte.
»Du könntest Mutter fragen«, brachte sie den einzigen Vorwand, der ihr noch blieb, aber schon als sie ihn aussprach, verzog sie selbst das Gesicht. Und auch Judith schien von der Idee wenig begeistert.
Ihr Blick wurde eindringlich. »Ich habe Angst, Babel. So hab ich mich noch nie gefühlt. Es ist … Es ist, als würde ich von innen heraus erstarren. Ich kann meinen Herzschlag nicht mehr spüren, und manchmal habe ich das Gefühl, dass ich vergesse zu atmen.« Sie biss sich auf die Lippe. »Ich habe Angst, dass eines Tages einfach alles aufhört zu funktionieren und ich es gar nicht merke.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und dieser Anblick erschütterte Babel mehr, als sie vermutet hätte. Das letzte Mal hatte sie Judith mit zehn weinen sehen, als sie das Plastikpony mit der rosa Mähne nicht bekommen hatte, das sie sich zu Weihnachten gewünscht hatte. Und da waren es Tränen der Wut gewesen.
»Na schön, ich sehe zu, dass ich dir helfen kann«, gab sich Babel geschlagen, worauf sich Judiths Gesicht schlagartig aufhellte. Die physische Veränderung war dermaßen verblüffend, dass Babel beinahe gelacht hätte.
»Danke.« Judith drückte ihr fest die Hand.
»Schon gut. Aber selbst wenn wir mal über die Tatsache hinwegsehen, dass deine neue Flamme eindeutig in die Kategorie Bad Boy fällt, bleiben da Fragen offen. Deinem Auguste folgen einfach ein paar merkwürdige Zufälle. Denn anscheinend haben wir auch gerade einen Nekromanten in der Stadt. Jahrelang haben wir keine Probleme mit so etwas, und ausgerechnet jetzt sind gleich zwei davon hier?«
»Solche Zufälle passieren.«
»Nicht in meiner Welt.«
Babel sah ein, dass ihr Judith keine Hilfe sein würde. Wenn sie verliebt war, setzte ihr Verstand für eine Weile aus, was im besten Falle hieß, dass sie im Winter nur mit einem Mantel und Unterwäsche durch die Gegend lief, um ihren Freund zu überraschen – und im schlechtesten, dass sie davon überzeugt war, dass Auguste kein Wässerchen trüben konnte.
Nachdenklich musterte sie ihre Schwester. Vielleicht war es sogar ganz gut, dass sie mit Auguste hergekommen war – so konnte Babel wenigstens einen Blick auf ihn werfen. Wenn er etwas mit der Vendome-Sache zu tun hatte, würde sie es schon herausfinden. Und dann war es ihr auch gleichgültig, ob er unwiderstehlich aussah; sie würde ihn zur Strecke bringen. Wenn Judith nicht auf sich aufpassen wollte, dann würde Babel das eben für sie tun. Schließlich waren sie trotz allem eine Familie.
»Ihr könnt aber nicht hier übernachten. Tut mir leid, aber einen Ombre, egal ob Ex oder nicht, will ich nicht im Haus haben.«
Kurz sah es so aus, als wolle Judith die Sache mit ihr ausdiskutieren, aber dann ließ sie es und nickte nur. Langsam löste sie sich von Babel. »Wir nehmen ein Hotelzimmer. Du kannst mich anrufen, wenn du so weit bist, das Ritual durchzuführen.«
»Ich muss mich ein bisschen darauf einstellen, aber allzu lange sollten wir nicht damit warten«, erwiderte Babel. »Je länger die Toten mit deinem Netz verbunden sind, desto schwächer wirst du. Ich will nicht riskieren, dass du das Bewusstsein verlierst. Außerdem solltest du dir wirklich ernsthaft«, sie tippte Judith an die Stirn,
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