Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
eine Strähne aus dem Gesicht und legte ihr die Hand an die Wange.
»Sie kann nicht ewig unter dem Einfluss der Toten bleiben«, erwiderte Babel leise.
»Hör mal, ich will dir keine Vorschriften machen, aber das alles gefällt mir überhaupt nicht.«
Sie küsste ihn fest auf den Mund. »Du hast mit jedem Einwand recht, das ist mir klar. Anstatt mich von der Totenebene fernzuhalten, begebe ich mich immer tiefer hinein. Aber ich kann Judith nicht ihrem Schicksal überlassen. Sonst bin ich nämlich irgendwann Einzelkind.« Sie legte ihre Stirn an seine. »Und wenn sich rausstellt, dass Auguste nicht hier ist, um ihr beizustehen, sondern irgendwie in die Sache mit Vendome verwickelt ist, wird er bald mehr Erfahrung mit der Totenebene sammeln können, als ihm lieb ist.«
»Das meinst du metaphorisch, oder?«
Entschlossen stand sie auf. »Ich meine das in dem Sinn, dass ich ihm den Schädel spalte.«
»Also meinst du es bildlich.«
Sie zuckte nur mit der Schulter. Gleichzeitig fragte sie sich, warum sie nicht darauf bestanden hatte, dass sich Judith von ihrer Mutter helfen ließ.
Vielleicht, weil du Bestandteil ihres Lebens sein willst? Wäre es nicht köstlich, wenn Judith dir etwas schulden würde? Das wäre doch die gerechte Strafe dafür, dass sie sich damals von dir abgewandt hat.
So bin ich nicht!
Nein? Nun, dann wird es wohl an der geschwisterlichen Zuneigung liegen, die zwischen euch herrscht.
Babel verzog das Gesicht. Die Stimme in ihrem Kopf, die möglicherweise ihr Gewissen war, besaß die unangenehme Eigenschaft, ehrlich zu sein. Sie zerrte jede noch so unschöne Gefühlsregung ans Tageslicht und zwang Babel dazu, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Dabei war es ihr ganz egal, ob die Wahrheit schmerzte.
Selbstverständlich, sonst wirst du auf ewig ein kleiner Feigling sein.
Also soll ich wie ein Held weitermachen, Vendomes Leiche finden und Judith von den Toten befreien?
Aber ja doch.
Zur Abwechslung klang das mal ganz nach Tamy.
Erschöpft ging Babel ins Badezimmer. Jetzt brauchte sie erst mal eine lange heiße Dusche, damit sie sich den Schweiß und den Gestank der Totenenergie vom Leib schrubben konnte. Später blieb noch genug Zeit, sich zu überlegen, was sie mit Auguste anstellen würde, wenn er sich in dieser kleinen Geschichte als der Bösewicht entpuppen sollte.
9
Am nächsten Morgen saß Babel, eine halbe Stunde nachdem Tom das Haus verlassen hatte, in ihrem Wohnzimmer am Esstisch und trommelte unruhig mit den Fingern auf der Tischplatte herum. Davor war sie ziellos durchs Haus gewandert, weil der Gedanke an die Toten, die sich von Judiths Energie nährten, ihr plötzliches Herzrasen verursacht hatte. Wie es aussah, hing sie doch mehr an ihrer Schwester, als sie vermutet hätte.
Und noch ein anderer Gedanke hatte sich in ihrem Kopf eingenistet, den sie nicht wieder loswurde.
Hin und wieder warf sie einen Blick auf das Telefon, das in einiger Entfernung im Regal stand.
Sie hatte lange darüber nachgedacht, wie sie bei ihren Nachforschungen weitermachen sollte, und immer wieder war sie zu derselben Erkenntnis gekommen: Tom konnte sie nicht in diesen Privatclub hineinbringen, aber vielleicht Sam?
Mit Begehrlichkeiten kannte er sich aus, und möglicherweise hatte er seit seinem Zuzug in diese Stadt auch danach gesucht. Mit seinem Aussehen standen ihm die Türen zu sämtlichen Privatclubs dieser Welt offen, daran hatte sie keinen Zweifel. Wenn er wollte, konnte er sehr charmant sein. Seine größte Fähigkeit hatte schon immer darin bestanden, dass er in der Lage war, den Leuten das Gefühl zu geben, dass er sich allein auf sie konzentrierte.
Er vermittelte den Eindruck, dass sich die Sonne zur Abwechslung mal um einen Kiesel drehte.
Und er war die Sonne.
Bevor man sich versah, konnte man sich ein Leben ohne diese Aufmerksamkeit nicht mehr vorstellen. Jeder Club, in dem er auftauchte, würde weitere Gäste anziehen.
Sollte sie ihn anrufen? Würde er ihr glauben, dass sie ihn nur anrief, um etwas herauszufinden, oder würde er denken, dass sie seine Stimme hören wollte?
Glaubte sie sich denn selbst?
Seit sie ihn vor ein paar Wochen wiedergesehen und die Dämonenebene gekostet hatte, brannte die Erinnerung an ihn in ihrem Blut, als wäre sie von den magischen Energien immer noch high. Sie konnte die Sehnsucht tief in sich spüren.
Dir ist schon klar, dass du wie die meisten Frauen bist? Du willst immer das, was du gerade nicht hast. Wenn du bei ihm bist, wirst du dich nach Tom
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