Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
sie zu und umarmte ihre Schwester. Es war einer jener seltenen Momente zwischen ihnen, in denen sie tatsächlich spüren konnte, dass sie eine Familie waren. Da war sie plötzlich da, diese Nähe zwischen Schwestern, von der immer gesprochen wurde.
Als sie Judith losließ, sagte Babel leise: »Du hattest übrigens recht. Auguste ist nicht der Nekromant, der diese Toten auf dich angesetzt hat. Aber irgendjemand war es, und wir sollten rausfinden, wer. Du hast dir irgendjemanden zum Feind gemacht, der bereit ist, sehr weit zu gehen, um dich zu vernichten. Das solltest du nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
Judith nickte. »Ich kümmer mich darum. Geh du erst mal nach Hause und ruh dich aus. Du siehst ziemlich fertig aus.«
Erschöpft lachte Babel und klopfte ihr kurz auf die Schulter, bevor sie das Bad verließ. Draußen wartete Karl bereits ungeduldig. Aufmunternd drückte sie ihm den Arm.
»Alles erledigt?«, brummte er.
»Ja, alles, wie es sein soll.«
»Hältst du das etwa für eine gesunde Gesichtsfarbe, Mädel?«
»Fragt mich der Mann, der seinen ersten Zigarillo noch vor dem ersten Kaffee anzündet?«
Er runzelte die Stirn. »Glaub bloß nicht, dass sich die Sache erledigt hat, wir reden noch drüber, Mädel. Du hast mir da vorhin nämlich eine Scheißangst eingejagt, das kann ich dir sagen.«
»Ich weiß«, gab sie zu. »Du kannst mich später anschreien, ich brauch erst mal eine Pause.« Sie wandte sich an Auguste, der wieder in seinem Sessel Platz genommen hatte. Judith stand neben ihm und hatte die Hand auf seine Schulter gelegt. Babel musste zugeben, dass die beiden ein schönes Paar waren. Ihre Gegensätze ergänzten sich auf beinahe gespenstische Weise.
Sie trat zu den beiden und streckte Auguste die Hand entgegen. Die Worte fehlten ihr, aber er schien die Geste auch so zu verstehen, wie sie gemeint war: als Friedensangebot.
An den Gedanken, dass ihre Schwester ein Verhältnis mit einem Ombre hatte, würde sich Babel vielleicht nie gewöhnen können, aber sie konnte wenigstens versuchen, ihm nicht den Kopf abzureißen.
»Dir ist klar, dass du ihn irgendwann Mutter vorstellen musst?«, sagte sie zu Judith.
»Ich versuche es hinauszuzögern, solange es geht.«
»Vermutlich weiß sie längst von ihm.«
Schulterzuckend lächelte Judith, wobei sich auf der linken Wange ein Grübchen bildete. »Davon gehe ich aus. Wobei es mir ein völliges Rätsel ist, wie sie immer über alles Bescheid wissen kann.«
»Du weißt auch mehr, als gut für dich ist, weil deine Tauben ständig auf meinen Bäumen sitzen und durch meine Fenster glotzen.«
»Mutter betreibt keine Tiermagie, das weißt du so gut wie ich. Sie ist allergisch.«
Irritiert schaute Auguste zwischen ihnen hin und her. Sein französischer Akzent verstärkte sich, als er fragte: »Sollte ich mir Sorgen machen, wenn ich eure Mutter treffe?«
»Ach, Chérie, mach dir keine Sorgen.« Judith klopfte ihm auf die Schulter, und Babel bekräftigte: »Nein, wirklich, du musst nicht beunruhigt sein. Warum auch? Nur weil Mutter ein halbes Dutzend Sprüche kennt, um einem die Haut vom Leib zu ziehen, was ich übrigens wortwörtlich meine, ist das noch kein Grund, sich Sorgen zu machen.«
Als sich auf dem Gesicht des Nekromanten endlich so etwas wie Furcht zeigte, drehte sich Babel zufrieden um. Sie hakte sich bei Karl unter und hob die Hand zum Abschied, ohne sich umzudrehen. »Komm noch mal vorbei, bevor du abfährst«, rief sie über die Schulter, bevor sie die Suite verließen.
Vor dem Fahrstuhl bemerkte Karl trocken: »Das war fies.«
»Was soll ich sagen, ich bin die Tochter meiner Mutter.«
»Aha. Geht’s dir denn jetzt besser?«
Sie grinste. »Und wie. Nichts fördert die Gesundheit so sehr wie eine kleine Gehässigkeit.«
In der Lobby legte Babel fünfzig Euro auf den Tresen der Rezeption und sagte: »Das ist für die Reinigungskraft. Wegen des Teppichs.«
Sie blieben nicht stehen, um die Antwort der Hotelmitarbeiterin abzuwarten.
16
Nachdem sie das Hotel verlassen hatten, fuhr Karl zurück ins Büro, um den Backgroundcheck über Meier-Lenz durchzuführen. Er hatte ihr das Versprechen aus den Rippen geleiert, dass sie mit Tamy reden würde, wenn sie schon nicht mit ihm über den Rückfall sprechen wollte. In solchen Momenten war Tamy weniger Freundin als vielmehr AA -Sponsorin, und Babel wusste, wie man von einer Abhängigkeit loskam. Also tat sie zur Abwechslung tatsächlich, was Karl ihr riet, und klingelte bei Tamy.
Sie
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