Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
nirgendwo sonst. Dann finden sich vielleicht Möglichkeiten, wie er seine Schulden dort begleichen kann.« Er wackelte mit den Augenbrauen und wirkte selbst ein bisschen begeistert darüber, wie viel er herausgefunden hatte.
»Du meinst mit Medikamenten?« Skeptisch schaute sie ihn an, aber er zuckte nur mit den Schultern.
»Aufputschmittel, Betäubungsmittel, Schmerzmittel. Such dir was aus.«
»Willst du damit sagen, er braucht Geld?«
»Seinen Kreditanträgen nach zu urteilen – ja.«
Grübelnd starrte Babel auf die Mappe. »Es wäre also möglich, dass er tatsächlich die Leiche an den Nekromanten verkauft hat.«
»Warum nicht, bietet sich doch an.«
»Aber er wird wohl kaum rumgefragt haben, ob jemand zufällig eine Leiche braucht.«
»Nein, aber vielleicht ist er gezielt angesprochen worden.«
»Möglich.« Sie legte die Mappe zurück auf den Tisch. »Ich werde ihn mir vornehmen. Das dürfte nicht schwierig herauszukriegen sein.«
»Brauchst du Hilfe?«
»Ich glaube nicht.« Sie schnappte sich den Zettel mit der Adresse und tippte sich kurz mit zwei Fingern zum Gruß an die Schläfe, bevor sie das Büro wieder verließ und die Treppe hinunterrannte. Vielleicht hatten sie ja Glück und würden dem Nekromanten endlich auf die Spur kommen, damit sie diese ganze Sache zu einem Ende bringen konnte.
Babel fuhr zur Gerichtsmedizin. Diesmal machte sie sich nicht erst die Mühe, sich zu verkleiden, sondern marschierte ohne Umschweife in das Gebäude. Das Sekretariat ließ sie hinter sich, ohne sich anzumelden.
An diesem Tag lag im Untersuchungsraum tatsächlich ein Körper unter einem Laken. Anscheinend standen die Kollegen kurz vor einer Obduktion. Sie kannte die Mitarbeiter nicht, die um den Tisch herumstanden und überrascht aufsahen, als Babel sie ansprach.
Knapp fragte sie nach Meier-Lenz und versuchte, so viel Autorität wie möglich in ihre Stimme zu legen. Tatsächlich bekam sie eine zögerliche Antwort. Offenbar war ihr Auftreten dermaßen einschüchternd, dass der Mitarbeiter vollkommen vergaß, sie zu fragen, wer sie eigentlich war und wieso sie einfach so in der Gerichtsmedizin herumwanderte.
Meier-Lenz hatte sein Büro im obersten Stock am Ende des Gangs, als hätte man ihn in eine abgelegene Ecke verbannen wollen. Daneben lag die Personalküche, in der sich um diese Uhrzeit jedoch niemand aufhielt. Der Flur lag still, hinter den Türen war nichts zu hören.
Nachdem Babel das Energienetz des Gebäudes abgetastet und nichts Verdächtiges gefunden hatte, betrat sie ohne zu klopfen das Büro von Meier-Lenz und schloss die Tür hinter sich.
Überrascht schaute er von seinen Unterlagen auf. »Ja?«, fragte er, und Babel trat an seinen Schreibtisch.
Er machte wieder einen zerstreuten und nervösen Eindruck.
»Erinnern Sie sich an mich?«
Er schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. Kurz schien er zu überlegen, was er tun sollte, dann entschied er, auf Nummer sicher zu gehen und erst einmal zu tun, was in solchen Fällen angebracht war: Er stand auf, kam um den Tisch herum und streckte ihr die Hand entgegen. Als sie sie nicht ergriff, blinzelte er irritiert.
»Ich war vor ein paar Tagen schon mal da«, sagte Babel kühl. »Wegen Madame Vendome.«
An seinem Gesicht konnte sie den Moment ablesen, in dem er sie erkannte. Sein Blick huschte über ihre Kleidung, die sich so von der unterschied, die sie bei ihrem ersten Treffen getragen hatte.
»Ich denke, ich habe da doch noch ein paar offene Fragen.«
»Fragen?« Er ging einen Schritt zurück, um Abstand zwischen sie zu bringen.
»Ja. Zum Beispiel, an wen Sie die Leiche verkauft haben.«
Wie unter einem Peitschenhieb zuckte er zusammen und hob abwehrend die Hände. »Ich habe niemandem eine Leiche verkauft! Wie kommen Sie darauf? Was soll das?«
»Na ja, du weißt schon, da wären die Spielschulden im Venus Cage und die ganzen Geldprobleme, die damit zusammenhängen. Da kann man schon mal auf solche Gedanken kommen, findest du nicht? Es ist ja auch ganz normal, dass man auf die Ressourcen zurückgreift, die man so hat. Dass das in deinem Fall tote Menschen sind«, sarkastisch winkte sie ab, »nun, dafür kann man ja nichts.«
Der Mann war bleich geworden. Ein paar Mal öffnete er den Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen, aber es entkam ihm kein einziges Wort, nur undefinierbare Laute. Fieberhaft huschte sein Blick hin und her, als suche er nach einem Ausweg.
Ins Schwarze getroffen.
Der Mann war als Verbrecher ein hoffnungsloser Fall.
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