Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
besonderen Retina die magischen Linien immer erkennen. Wenn man die Sicht der Hexe mit der des Vogels verband, war es möglich, ebenfalls das magische Netz zu sehen.
Babel blickte sie skeptisch an. »Du hast deine Krähen aber nicht hier …«
»Pff, ich bitte dich. Glaubst du etwa, dass ich nur mit Krähen arbeite?« Sie zog eine Augenbraue hoch und schaute fast ein bisschen beleidigt drein. »Ich kann alle möglichen Vögel benutzen. Nicht nur die, die schwarz glänzen.«
Abwehrend hob Babel die Hände. »Entschuldige bitte, ich wollte dir kein Klischee unterstellen, nur weil deine Katze Merlin heißt. Aber du hast keinen bei dir, oder?« Misstrauisch schielte sie zum Fenster, aber auf den Fensterbänken saß keiner von Judiths Vögeln.
Als Judith den Blick bemerkte, stand sie mit einem gemurmelten »Also wirklich« auf und trat ans Fenster. Sie öffnete es, stieß einen kurzen Pfiff aus, und sofort brach ihre Magie wie ein Vulkan aus ihr heraus. In kurzen Wellen erreichte sie Babel.
Judith hob den Arm auf Augenhöhe, und nach nur wenigen Sekunden ließ sich ein Spatz darauf nieder.
»Du machst wohl Witze.« Babel erhob sich ebenfalls. Mit in die Hüfte gestemmten Händen ging sie ein Stück auf Judith zu.
»Keineswegs.« Lächelnd schaute Judith auf den kleinen Vogel hinab und strich ihm mit dem Zeigefinger zärtlich übers Gefieder.
»Du willst mir erzählen, dass du einen trainierten Spatz hast?«
Tom brach in Gelächter aus, versuchte aber, es zu unterdrücken, als er von Babel einen finsteren Blick auffing. Versöhnlich hob er die Hand. »Das ist doch gar nicht dumm. Sie sind flink, haben keine Angst vor Städten, sind unauffällig und passen überall rein. Die idealen Spione.«
»Schon mal dran gedacht, sie an den Bundesnachrichtendienst auszuleihen?«
Das Lächeln, das Judith daraufhin zeigte, machte Babel Angst.
Sam hatte recht, sie war wirklich viel zu naiv. Wer hätte das angenommen von jemandem, der schon mit sechzehn zu Hause ausgezogen war und eine Weile in besetzten Häusern gewohnt hatte. Aber Judith wusste ihr Talent schon immer zu nutzen – auch wenn Babel nicht glaubte, dass sie Spionagevögel für den BND ausbildete.
Zumindest nicht ernsthaft.
»Wir müssen ihn allerdings auf die Totenenergie einschwören«, gab Judith zu bedenken, während sie die Zeigefinger abwechselnd übereinander hielt, damit der Spatz etwas zu klettern hatte.
»Urd hat neulich einen toten Vogel ins Haus geschleppt«, sagte Babel. »Der müsste noch in der Mülltonne liegen. Hilft das?«
Ihre Schwester nickte und schaute auffordernd in die Runde, wer sich erbarmen würde, den Vogel zu holen. Ein paar Sekunden verstrichen, in denen sich niemand rührte. Babel hoffte, dass sich Auguste freiwillig meldete – immerhin dürfte der Anblick eines toten Vogels für ihn nicht ungewöhnlich sein. Aber er blieb ruhig auf seinem Stuhl sitzen.
Nachdem einige weitere peinliche Sekunden verstrichen waren, erhob sich Tom vom Sofa. »Na schön, ich mach’s.«
Kopfschüttelnd verließ er das Zimmer, und Judith lächelte zufrieden.
Sie wandte sich an Babel. »Wir brauchen ein Messer, ein Brett und etwas Brot, mit dem ich dem Spatz füttern kann«, wies sie an und setzte sich den Vogel auf die Schulter. Er rieb seinen kleinen Kopf an ihrem Ohr, was sie zum Kichern brachte.
Nachdem Tom das in Zeitung eingewickelte Federvieh zurück ins Haus gebracht hatte, ging Babel in die Küche, um den gewünschten Rest zu holen. Wenigstens kamen auf diese Weise endlich die steinharten Brötchen zum Einsatz, die seit einer Woche im Brotkasten lagen und nur noch zum Entenfüttern gut waren.
Gemeinsam stiegen Judith und Babel die Treppe zum Magiezimmer hinab, wo Babel alle Zutaten für das Ritual aus dem Stahlschrank nahm und ihrer Schwester bereitlegte. Der Spatz auf Judiths Schulter machte unterdessen keinerlei Anstalten davonzufliegen.
Neugierig schaute sich Judith um. »Ich war schon lange nicht mehr hier«, sagte sie. Es war ihr nicht anzusehen, ob sie den mit Babels Energien aufgeladenen Raum als unangenehm empfand.
Babel machte sich jedenfalls nicht die Mühe, auf die Feststellung zu antworten, denn Judith wusste selbst am besten, wie sensibel Hexen waren, wenn es um ihre Rückzugsorte ging. Es war ein sehr intimer Akt, jemanden mit hineinzunehmen – ganz besonders, wenn es sich um andere Hexen handelte.
Sie zog einen Bannkreis mit Kreide, der Judith während des Rituals vor anderen magischen Einflüssen schützte. Babels
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