Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
Neugierig beobachtete Babel ihre Schwester, die plötzlich nervös auf der Unterlippe kaute.
»Ach, vergiss es. Wir könnten Vater anrufen und ihn bitten, sie abzuholen.«
Babel rollte mit den Augen. »O ja, das ist eine hervorragende Idee. Holen wir doch noch jemanden hierher, damit er sich in Gefahr bringen kann.«
»Er könnte helfen …«
»Wie? Indem er uns einen Vortrag darüber hält, wie unmoralisch wir Hexen sind und dass unsere Vorstellung von Territorium auf einer moralischen Stufe mit den Allmachtsfantasien irgendwelcher Diktatoren steht?«
»Ja«, gab Judith zu, »bei so was ist er empfindlich. Manchmal denke ich, dass er nach all den Jahren immer noch nicht so richtig begriffen hat, wie Hexen eigentlich funktionieren. Wahrscheinlich denkt er, seine Frau kann einfach dafür sorgen, dass die Gemüsebeete schneckenfrei bleiben. Fragst du dich nicht auch manchmal, wieso Mutter bei ihm geblieben ist?«
Babel steckte die Hände in die Hosentaschen. »Komische Sache, sie behauptet immer, sie würde ihn lieben.«
Aber Judith schien ihre Ironie nicht zu mögen. »Komm schon, du weißt doch, was ich meine. Er ist so ganz anders als sie. Jedes Mal, wenn sie etwas tut, das man in seinen Augen nicht tun sollte, wie zum Beispiel Wetten beeinflussen, hält er es für eine charmante kleine Marotte. Ehrlich, ich habe den Verdacht, im Grunde hält er Mutter für … anständig.«
»Natürlich tut er das«, erklang plötzlich die Stimme ihrer Mutter hinter ihnen, und ertappt drehten sie sich um.
Maria war nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt und warf im Näherkommen misstrauische Blicke auf den Papagei, der irgendetwas am Boden des Käfigs machte.
»Das liegt daran, dass ich eine anständige Natur bin«, fügte sie hinzu.
Babel lachte trocken. »Nein, bist du nicht. Du kannst großzügig sein und liebevoll, aber anständig bist du nur, wenn es in deine Pläne passt. Und das macht dich per definitionem eben nicht anständig, sondern egoistisch.« Maria runzelte die Stirn, und Babel hob abwehrend die Hände. »Glaub mir, es gibt Schlimmeres als deinen Egoismus. Oder meinen. Alles in allem ist unsere Familie ganz verträglich. Wir brechen wenigstens keinen Hexenkrieg vom Zaun.«
Das musste man der Erziehung ihrer Mutter lassen, Maria hatte ihnen zwar beigebracht, sich nichts gefallen zu lassen, aber sie hatte sie auch nie zu einer besonderen Aggressivität gegenüber anderen Hexen angehalten.
»Schrrreeeckschrauuuube! … Fleischerrr … Pfui … pfui …« , ertönte es auf einmal über ihren Köpfen.
Amüsiert sah Babel nach oben zu Xotl, der den Kopf vorgereckt hatte und Maria mit halb zusammengekniffenen Augen beobachtete.
»Ich glaube, er meint dich, Mutter. Wer weiß, was er sich wieder einbildet.«
Maria schaute ebenfalls nach oben und verschränkte die Arme. »Vermutlich denkt er, dass ich ihn als Ritualtier einsetzen will.«
»Wäh«, machte Judith, »warum solltest du das wollen? Das wäre kein schöner Anblick. Schon gar nicht bei dem da.«
»Weil es Kraft bringen würde.«
Fassungslos blickten sie Maria an, die immer noch aussah, als hätte sie lediglich ihre Meinung über das schöne Sommerwetter geäußert.
»Was denn? Wenn man die dämonischen Energien in ihm umwandeln würde, könnte man sie für den Kampf nutzen. Als Reserve, zum Beispiel. Immerhin sind wir weniger Hexen als die Gegenseite.«
Babel ahnte, dass Marias Worte ihr galten, denn der durchdringende Blick ihrer Mutter lag schwer auf ihr. So war es schon immer gewesen, Maria war kein Freund großer Worte. Selbst als Babel und Judith noch Kinder gewesen waren, hatte sie nicht viel davon gehalten, die Wahrheit in eine Hülle weicher Worte zu verpacken.
»Ich werde kein Ritualtier opfern«, erwiderte Babel defensiv.
»Bist du sicher?«
»Ja. Ich habe dir gesagt, dass das hinter mir liegt. Es ist einfach zu …«
… verlockend?
»… gefährlich.«
Marias Blick wurde skeptisch, aber nach einem Moment sagte sie: »Na schön.«
Die Spannung zwischen ihnen war fast fühlbar, und genau deshalb waren die Treffen zwischen ihnen so schwierig. Dabei konnte Babel es ihrer Mutter nicht einmal übel nehmen, dass sie versuchte herauszufinden, wie weit Babel in ihrem Kampf gegen Clarissa gehen würde. Babel hatte sich zwar geschworen, dass sie keine Tieropfer mehr durchführen würde, weil die Gefahr bestand, dass sie während eines so mächtigen Rituals die Kontrolle verlieren und wieder in die Dämonenebene wechseln könnte –,
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