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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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habe mich ausgezogen und auf sein Bett gelegt. Nur aus Verzweiflung, Väterchen, glaub mir. Aus wilder Sehnsucht, mal etwas anderes zu sehen als dein Magazin und etwas anderes zu werden als ein duldsames Mütterchen, das aus dem Wochenbett nicht mehr herauskommt. Pyljow schien mir der richtige Mann zu sein …«
    Nelli seufzte tief, wischte sich die Tränen vom Gesicht und sprach darauf weniger zerknirscht weiter:
    »Aber was ist das für ein Mann! Nicht ein Kind hat er auf die Beine gekriegt, verkroch sich vor der Hochzeit hinter dem Popen und hielt mir einen Vortrag über die Keuschheit. Und nach der Hochzeit, schon in der ersten Nacht, bekam er Bauchkrämpfe und lag von da an neben mir wie ein schnarchendes Stück Fleisch. Die ganzen Jahre, Väterchen – ein Gefäß ohne Inhalt, eine Flasche ohne Saft. Womit habe ich das verdient, frage ich mich. Zieht da das Leben an mir vorbei und sieht mich gar nicht an! Ein schönes Mädchen bin ich doch. So kam ich ins Gespräch mit Sapanow, und Jakow Petrowitsch verstand mich. Er ist ein welterfahrener Mann, kennt als Briefträger die Menschen und weiß um viele geheime Schicksale. So einer von der Post sieht und hört ja manches, was uns anderen verborgen bleibt … Nun ja, Väterchen: Sapanow ist ein Mann und besucht mich nun jede Woche zweimal, wenn Pyljow seine geschichtlichen Abendkurse in der Volksbildungsgemeinschaft hält.«
    Zum Jammern ist's, schrie Babkin in sich hinein. Was habe ich für eine Familie! Jeder schläft mit einem anderen, die Moral ist wie ein Sumpf, und ich bin herumgegangen mit stolzer Miene und habe immer geglaubt, die Babkins seien das Muster eines sowjetischen Haushalts.
    Und ausgerechnet Sapanow, der Briefträger, mit dem auch schon meine Nina … Ein schiefes Maul hat er, und wenn er lacht, sieht man tabakbraune Zähne! Keine Schönheit, wahrlich nicht – das gleicht auch nicht sein heller Tenor aus, mit dem er im Kirchenchor und im Folkloreverein singt; ja, sogar Arien schmettert er – wie neulich aus so einer Oper, die in Japan spielt und von einem Mädchen handelt, das sich Schmetterling nennt. Schon das ist Blödsinn: Wer heißt denn Schmetterling? Aber die Genossen klatschen und sind begeistert, sicherlich nur, um nicht zu zeigen, wie wenig sie davon verstehen. So ist das überall: Wenn man mit den Wölfen heult, ist man gut gelitten.
    Dieser Sapanow! Ist der heimliche Liebhaber meiner Nelli! Ha, wenn ich noch lebte – mit der Peitsche würde ich ihn durch Ulorjansk jagen!
    »Da ist aber noch was, Väterchen«, fuhr Nelli Wadimowna fort und putzte sich vorher die Nase. »Niemand hat gewagt, es dir zu sagen, aber nun, da du da steif und unfähig zur Rache daliegst, will ich es dir gestehen: Natalja, mein liebes Schwesterchen, von dem ihr alle glaubt, es sei tot, verschollen in der Taiga, gefressen von wilden Tieren – Natalja lebt.«
    Jetzt, Herz, steh still, dachte Babkin ergriffen. Mach ein Ende, hör auf zu schlagen und laß mich sterben. Wer erträgt solches noch? Dazu muß man toter als tot sein, aber, ihr grausamen Lieben, ich lebe noch – ihr wißt es nur nicht!
    Natalja, meine kleine, süße Nataljascha, mein zweites Mädchen, soll leben? Wo denn, nun sag es doch, Nelli, wo denn? Wo kann ich sie umarmen? Warum hat sie nie einen Laut von sich gegeben? Warum hat sie uns alle in dem Glauben gelassen, die Taiga habe sie gefressen? Hat sich weggeschlichen aus dem behüteten Elternhaus, um irgendwo ein eigenes Leben zu beginnen, was?
    War ich wirklich solch ein Tyrann? War zu meinen Lebzeiten kein Auskommen mit mir, und alle brachen aus und betrogen mich? Welch ein armer, einsamer Mann war ich doch und hab' es nie gemerkt! Wie blind tappt doch jeder Mensch durch die Landschaft, und erst nach dem Tod sagt man ihm, wie abscheulich und nutzlos er für seine Umgebung war. Man möchte weinen, Nelli, wenn man als Toter noch weinen könnte.
    »Natalja hat uns damals mit einem Lastwagen verlassen. Du weiß doch, Väterchen, es kamen viele Waren mit dem Lastwagen aus den Zentralmagazinen zu dir. Draußen am Jemnakbrunnen hat sie auf den Wagen gewartet, ist einfach eingestiegen und fort war sie. Drei Werst weiter hat sie ihr Hemd zerrissen und in den Wald geworfen … da hat man's später gefunden, und wir alle haben geglaubt, nun ist Natalja tot. Sogar einen Grabstein haben wir auf dem Friedhof errichtet, und Väterchen Waninow hat den Segen gesprochen. Dabei war Natalja lebendig und lustig wie nie zuvor. War erst mit dem Lastwagenfahrer

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