Babkin, unser Väterchen
Genosse und Bürger; für jedermann hat er ein Ohr, und ein Wohltäter ist er zudem auch. Für's Kinderheim hat er gestiftet, für die Komsomolzen, für den Bau eines Schwimmbades, für das Aufpolieren des bronzenen Lenindenkmals, für alles stiftet er, womit man sich einen Namen machen kann – und ist doch der größte Gauner, den die Sonne je beschienen hat!
Womit er seine Rubel gemacht hat? Ha, er verkaufte die ›freien‹ landwirtschaftlichen Produkte, den Überschuß, den die Bauern in der weiten Umgebung nach Ablieferung des Sowchosensolls für sich behalten durften. Das alles verschob Afanasjew in dunkle Kanäle, von denen niemand wußte, wohin sie führten, und fett wurde er dabei wie ein Mastschwein, das nur in Milch gerührtes bestes Mehl bekommt.
Außerdem – der Teufel hole ihn – kaufte er Land auf, saß auf der Scholle wie ein Geier und wartete darauf, daß irgendwann einmal Ulorjansk für die Ansiedlung irgendeiner Industrie entdeckt wurde. Dann würde er das zusammengeraffte Land verkaufen zu einem Preis, der einem die Hosen zerriß, und zur Beruhigung eine bestickte Festtags-Parteifahne stiften. Ja, so einer war Viktor Viktorowitsch.
Komm nicht näher an mein Bett, Halunke, dachte Babkin, sonst spucke ich dir zwischen die Augen …
Afanasjew sah erschüttert den toten Babkin an. Da hatte man sich jedesmal mit beleidigenden Worten angeschrien, wenn man sich irgendwo begegnete, und jetzt lag er stumm da, der gute Babkin, bleich und steif, und wenn man ihm sagen würde: Du bist der mustergültigste Heuchler, den je ein Wind umfächelt hat, dann konnte er sich nicht mehr wehren. Wie schön doch so ein Toter ist.
»Ähäm …«, begann Afanasjew seine Abschiedsrede und kratzte sich den linken Handrücken. Der stumme Babkin nötigte ihm doch ein wenig Ehrfurcht ab. »Wer hätte das gedacht, Wadim Igorowitsch? Fällst einfach um und bist nicht mehr. Wo bleibt nun unser schöner Streit? Zwanzig Jahre haben wir ihn gepflegt, und plötzlich ist alles aus. Fehlen wirst du mir, mein lieber Babkin …«
Das mit den zwanzig Jahren stimmte.
Es begann damit, daß Babkin von einer uralten Tante vor knapp einundzwanzig Jahren völlig unerwartet am Stadtrand von Ulorjansk, in der besten Lage, ein Grundstück erbte. Ein unbebautes Feld, an dem vorbei sich die Stadt nach und nach ausdehnte. So oft und eindringlich man Tante Xenia Sidorowna auch ins Gewissen geredet hatte, sie möge das Stückchen Land verkaufen, um keine häßliche Baulücke entstehen zu lassen, immer hatte sie jeden vor die Tür gesetzt, der mit einem solchen Ansinnen kam.
»Nichts wird verkauft!« hatte sie geschrien. »Ihr Gauner! Ihr Betrüger! Eine alte Frau übers Ohr hauen, das wäre etwas für euch! Nicht mit Xenia Sidorowna!« Selbst Bürgermeister Blistschenkow blitzte bei ihr ab. »Nicht anders als die anderen bist du, Guri Jakowiewitsch!« lamentierte sie. »Laß mein Land ruhig eine Baulücke sein, um so wertvoller wird es!«
Recht hatte sie, die Alte … Und dann starb sie an allgemeiner Entkräftung, weil ihr Mägen immer kleiner wurde und sie kaum noch etwas essen konnte. Es war, als würde sie von innen abgeschnürt.
Dr. Poscharskij, der ihren Verfall mit sichtbarem medizinischem Interesse verfolgte, hatte dafür einige lateinische Ausdrücke zur Hand, bei deren Klang allein jedem klar wurde, daß man daran sterben mußte. Es gab ein großes Begräbnis, und dann wartete alles gespannt auf die Testamentseröffnung.
Aus Tobolsk kam ein Rechtsanwalt, zog aus seiner Ledermappe ein Aktenstück und las in Anwesenheit der Zeugen Blistschenkow und Waninow, des Popen, den letzten Willen der Xenia Sidorowna vor.
Welch eine Überraschung! Ausgerechnet Babkin erbte das umstrittene Stück Land. Die Hoffnung, darauf etwas Repräsentatives zu bauen, schwand für immer dahin. Babkin war noch zäher als Tante Xenia, das wußte jeder. Bei der verstockten Alten hätte Waninow, der Pope, es vielleicht noch erreicht, daß sie das Grundstück an die Stadt verkaufte, indem er ihr versprach, sie käme ohne Überprüfung ihres Lebenswandels direkt in den Himmel. Doch bei Babkin war jeder Versuch in den Wind geblasen.
Aber nein! Sechs Wochen, nachdem er die Erbschaft angetreten hatte, erhielt Babkin einen Brief aus Tobolsk von einem Rechtsanwalt Julian Michailowitsch Tunkel. Darin forderte ihn dieser mit nüchternen Worten auf, das Erbe sofort an den rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Er möge beiliegendes Dokument – in beglaubigter
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