Babkin, unser Väterchen
sich wenigstens jetzt auf Sie verlassen, Bairam Julianowitsch?«
»Was ich als Arzt verantworten konnte, habe ich getan.« Poscharskij kam an den Tisch, goß sich in ein stabiles Glas eine gehörige Menge Wodka ein und schüttete sie in einem Zug hinunter. Man sah ihn überhaupt nicht schlucken, ein Beweis, welche Übung er darin besaß. »Wann soll ich wiederkommen?«
»Ist das nötig?« Pyljow grinste breit. Zum Hineinschlagen, dachte Dr. Poscharskij voller Bitterkeit. Wie kann man mit so etwas nur gemeinsame Sache machen? Nur, weil die eigene Blamage so schwer wiegt.
»Der Totenschein ist ausgeschrieben«, fuhr Babkins Schwiegersöhnchen fort. »Wir sehen uns beim Begräbnis wieder.«
»Ja, ja, beim Begräbnis.« Dr. Poscharskij soff noch einmal ein Glas voll Wodka, um den aufflackernden inneren Brand zu löschen und sein Gewissen auszuschwemmen. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber alle Worte, die ihm einfielen, paßten jetzt nicht mehr.
Wie konnte man etwa sagen: Macht's gut, ihr Lieben! Oder: Gott sei mit euch! Hier war jetzt alles falsch – nur Stummheit war angebracht. Und schnelles Weggehen.
Das tat er dann auch, und alle Babkins atmeten auf, als hinter Dr. Poscharskij die Tür zufiel. Die Stille, die er hinterließ, hielt eine Weile an, bis Nina zaghaft fragte:
»Wer tut's denn nun? Und wie?«
Die Frage war berechtigt. Man war sich klar darüber, daß es geschehen mußte, aber über die Ausführung und vor allem, wer die Arbeit übernahm, hatte man doch nicht diskutiert. Und um gleich alle Spekulationen auszuschalten, sagte Nina gleich darauf: »Ich nicht. Schließlich war ich mit ihm zweiunddreißig Jahre verheiratet. Man muß das verstehen. Drei Töchter habe ich ihm geboren – da kann ich ihm doch nicht einfach den Hals durchschneiden.«
»Außerdem wäre dies unästhetisch!« sagte Pyljow angewidert. »Das viele Blut! Es muß lautlos, blutlos, ja, elegant geschehen. Vorvergiftet ist er ja – laß uns jetzt überlegen, was man dranhängen kann …«
»Ich gehe zu ihm.« Walentina, die Zarte, wischte sich über die Augen. »Überlegt, was ihr tun wollt. Vielleicht fällt mir etwas ein, wenn ich ihn ansehe …«
»Ein vortrefflicher Gedanke ist das!« Pyljow nickte zustimmend. »Schließlich sind wir keine Wegelagerer und Straßenmörder … Immer ästhetisch bleiben, meine Lieben. Immer ästhetisch!«
Walentina machte einen Umweg über die Küche, ehe sie das Schlafzimmer betrat. Babkin, das Väterchen, lag wie vordem stumm und bleich und unbeweglich unter seiner schwarzen Trauerdecke und wirkte so, als könne man ihn wieder in den daneben stehenden Sarg umbetten.
Sie war etwas verwüstet, diese letzte Kiste. Die wie Seide wirkende Papierdecke war zerfetzt, das Sägespänekissen aufgerissen, sogar das Kruzifix auf dem Sargdeckel war verbogen, bei dem billigen Blech kein Wunder.
»Mein armes Väterchen«, sagte Walentina traurig. »Die einzige werde ich sein, der du verzeihst. Ich weiß es. Immer habe ich dich geliebt und muß jetzt zusehen, wie die anderen dich doch noch zum Toten machen. Wer kann das aushalten, Väterchen? Ich nicht – auch wenn Mütterchen darunter leiden wird. Ich helfe dir.«
Unter dem weiten Rock holte sie einen Deckeltopf, gefüllt mit guter Milch, hervor, setzte sich zu Babkin ans Bett und drückte mit der linken Hand seinen Mund auf. Mit der rechten schüttete sie ihm die Milch in den Rachen, massierte dabei seinen Hals, wenn die Milch wieder hinauslief, bis sie merkte, daß Väterchen instinktiv schluckte.
Danach ging es besser: Babkin trank, tief schlafend, aber seinen Reflexen gehorchend, die Milch, die Walentina ihm einflößte, stöhnte dann auf, wackelte mit der Nase, schlief aber weiter, und begann zu schnarchen. Das war ein gutes Zeichen. Bei einem schnarchenden Mann kann man darauf vertrauen, daß er kraftvoll wieder aufwacht.
Walentina schob ihren Milchtopf unter das Bett, küßte ihr Väterchen auf Stirn und Nase und kehrte dann in die Wohnstube zurück.
Nina, Nelli und Pyljow saßen um den Tisch und schwiegen, weil in der Zwischenzeit Bobo Alexandrowitsch Panin gekommen war, der Milizionär, um sich von der Wahrheit des Gerüchtes zu überzeugen, daß Babkin plötzlich tot umgefallen sei. Man ließ ihn in diesem Glauben, und Bobo Alexandrowitsch, begeistert ob dieser Tatsache, strahlte seinen heimlichen Geliebten Pyljow an. Immer hatte er Sorge gehabt, Babkin könne sein Verhältnis zu dem Schwiegersohn entdecken. Unausdenkbar wären die Folgen
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