Babylon: Thriller
Felswand herauszuspringen schien. Der Künstler hatte die natürlichen Konturen des Gesteins benutzt und daraus den Leib des Tiers geformt. Die Löwin saß aufgerichtet auf den Hinterbeinen und zeigte mit einem Fauchen ihre tödlichen Reißzähne. Auf ihrem Bauch befand sich eine sorgfältig ausgeführte Reihe von Zitzen.
»Das ist phrygischen Ursprungs«, sagte Ward, dessen Erregung offensichtlich war. Seine Laune hatte sich abermals geändert. Er erschien jetzt beinahe euphorisch, als ob der Anblick der Löwin seine sämtlichen Hoffnungen bestätigte; seine Wut war verschwunden. Ich glaubte sogar, in Lazarus’ toten Augen einen Anflug von Hoffnung aufflackern zu sehen.
Nahums Worte fielen mir ein. »Wo ist nun das Versteck der Löwen?« Hatte ich mich geirrt? Waren wir am Ende doch auf der richtigen Spur? Wenn ja, wie hatte dann Nahum, ein Schreiber, der in Assyrien lebte, von dieser versteckten Gruft erfahren? Ich kam zu dem Schluss, dass er den assyrischen König durchaus auf seinem Feldzug nach Anatolien begleitet haben konnte.
Während wir im Korridor weiter vordrangen, fuhr Mazare plötzlich herum und gab uns mit der Hand ein Zeichen, stehen zu bleiben. Wir hatten zwei kleine Kammern erreicht, die einander gegenüberliegend in die Tunnelwände eingemeißelt worden waren. In etwa dreißig Metern Entfernung endete der Gang mit einer T-förmigen Kreuzung. Mazare sagte im Flüsterton etwas zu Eris. »Wir sollen das Licht löschen«, übersetzte sie. »Zur Gruft geht es nach links.«
Mit einem Klicken erloschen die Laternen und ließen uns in totale Finsternis eintauchen. Während unsere Augen sich nach und nach an die neuen Lichtverhältnisse anpassten, konnten wir einen matten Schimmer erkennen, der aus der linken Abzweigung herausdrang.
Mazare knipste seine Lampe wieder an und richtete den Lichtstrahl auf den Boden. Er sprach wieder mit Eris. »Er geht zuerst hinauf«, dolmetschte sie. Ward schickte alle anderen in die Kammern, bestand aber darauf, dass ich für alle sichtbar im Tunnel stehen blieb. Ward und Eris drückten sich hinter Shim in einen der kleinen Räume; Lazarus suchte im anderen Deckung. Als ich mich ebenfalls hineindrängen wollte, zückte er sein Messer.
Wenn Tomas wirklich hier war und auf mich geschossen werden sollte, konnte ich nichts anderes zu meinem Schutz tun, als meinen Körper so flach wie möglich gegen eine Tunnelwand zu pressen. Mazare schob sich an der linken Wand entlang, bis er die Kreuzung fast erreicht hatte. Er winkte mir. Ich blieb stehen. Dann sagte er etwas – »Kommen Sie«, dachte ich. Aber ich musste es mir eingebildet haben. Er zuckte die Achseln, richtete die Lampe auf den Boden, angelte mit der anderen Hand sein Mobiltelefon aus der Tasche und tippte eine Nummer ein.
Für einen kurzen Moment fragte ich mich, weshalb er ausgerechnet von hier unten jemanden anrufen wollte. Doch dann dämmerte mir schlagartig, was geschehen würde, und ich rannte so schnell ich konnte auf ihn zu.
Dreißig
Ein greller Blitz füllte den Korridor, gefolgt von einem langen, rollenden Donner. Ich hörte Ward brüllen, kurz bevor die Decke nachgab. Fast im gleichen Moment wurde ich mit dem Gesicht auf den Fußboden geschleudert. Ich wollte wegkriechen, aber mein linkes Bein war eingeklemmt. Ich verdrehte den Oberkörper, tastete mit einer Hand herum und konnte feststellen, dass der Gegenstand, der mich an Ort und Stelle festhielt, eine etwa tischgroße Steinplatte war, die irgendwo weggebrochen und auf mich gestürzt war. Mein Bein war bei meinem Sturz in der Rinne am Rand des Tunnels gelandet und daher nicht zerquetscht worden, als die Steinplatte daraufstürzte. Ich spürte keine Schmerzen und konnte den Fuß bewegen. Ich packte die Kante der Platte mit beiden Händen. Aber in meiner augenblicklichen Lage konnte ich meine Kraft nicht effektiv genug einsetzen und schaffte es nicht, den Stein auch nur einen Zentimeter zu bewegen.
Ich konnte auch nichts erkennen. Der Steinstaub war so dicht, dass ich kaum atmen konnte. Ich zog mein Hemd aus und wickelte es mir um Mund und Nase.
Als wir den Tunnel betraten, hatte ich versucht, mir einzuprägen, welche Richtung wir eingeschlagen hatten, und vermutete, dass der Tunnel unter den Klippen endete, die dicht hinter dem Haus des alten Mannes aufragten. Das bedeutete, dass die Chance nur gering war, dass jemand im Dorf die Explosion gehört hatte. Irgendwann würde sicherlich jemand die Tunnel betreten und den Felssturz sehen, aber für mich
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