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Back to Blood

Back to Blood

Titel: Back to Blood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolfe
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hatte. Er sieht, wie er sich vorbeugt, bis sein Mund nur noch fünf oder sechs Zentimeter vom Ohr der Bestie entfernt ist, wie er brüllt, » Was war das, du Arschloch? Was war das?«
    Bei diesen Worten ist es aus mit Nestors Hochstimmung. Er will das Fenster wegklicken … Ab jetzt wird es nur noch schlimmer, oder? … Was hat er getan? … Er weiß, was als Nächstes kommt … und da ist es auch schon … Die Beschimpfungen, seine eigenen und die des Sergeant, ergießen sich in wahnwitzigem Tempo über den Fleischhaufen — und der Haufen fängt Feuer. In den Scheiterhaufen schleudert Nestor ein letztes » Was war das, du kleines dreckiges Arschloch?«.
    Erst jetzt, während er auf den Bildschirm seines Laptops schaut, kapiert Nestor erst richtig. Erst jetzt, nachdem er all das gehört hat, begreift er, wie schlimm die ganze Geschichte ist … das Nestor-Camacho-Vorstellungsvideo, von YouTube für die ganze Welt.
    Und was sieht die Welt in diesem Video? Wo beginnt die YouTube-Geschichte? Die Welt sieht einen schwarzen Gefangenen, der mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegt, wehrlos, hilflos, von Schmerzen gepeinigt, um jeden Atemzug ringend, urrrrrrrunh stöhnend wie noch kein menschliches Wesen jemals zuvor gestöhnt hat, auf Gedeih und Verderb zwei kubanischen Polizisten ausgeliefert. Von denen einer auf dem Rücken des Gefangenen sitzt und angesichts der Aussicht, seinem Opfer gleich mit einem Doppelnelson das Genick brechen zu dürfen, entzückt grinsend seine zweiunddreißig grausamen Zähne fletscht, und der andere einen halben Meter daneben hockt, jederzeit bereit, dem Gefangenen mit seinem 44er-Revolver das Hirn wegzublasen. Beide demütigen ihren schwarzen Gefangenen, verhöhnen seine Männlichkeit, nennen ihn einen schwachsinnigen Untermenschen. Gibt es nichts, vor dem diese beiden kubanischen Polizisten zurückschrecken in ihrem Wahn, diesen schwarzen Mann zu misshandeln, der, soweit der Zuschauer weiß, überhaupt nichts getan hat? … So beginnt die YouTube-Version … und so endet sie wahrscheinlich auch.
    Nicht der geringste Hinweis auf die lebensbedrohliche Situation, die dieser abstoßenden »Misshandlung« vorausging, nicht einmal eine Andeutung, dass dieser arme schwarze Mann tatsächlich ein junger, kräftiger, 275 Pfund schwerer Crackhauskrimineller war, nichts darüber, dass die ganze Geschichte vielleicht dadurch ausgelöst worden sein könnte, dass er den Sergeant um ein Haar mit seinen riesigen Händen erwürgt hätte, dass das Leben des Sergeant nur durch die prompte Reaktion von Officer Camacho gerettet worden war, der sich mit seinen mickrigen hundertsechzig Pfund auf die Bestie gestürzt, mit ein paar Ringergriffen den 275-Pfund-Crackhauskriminellen attackiert und sich mit ihm im Dreck herumgewälzt hatte, bis dieser außer Atem, kraftlos, willenlos, seines Mumms und seiner Männlichkeit beraubt … aufgab … wie ein Weichei. Wie konnte irgendein Mensch abstreiten, dass auch ein Polizist im Angesicht des Todes einen Adrenalinschub hat, überwältigender als alle Fesseln höflicher Konversation, und sofort danach trachtet, diesen potenziellen Mörder zu vernichten aus dem abscheulichsten Ekel heraus, der aus den dunkelsten, verschlungensten Tiefen seines Hasses in sein Stammhirn schießt? Wie konnte irgendein Mensch, selbst der sanftmütigste und begriffsstutzigste, das nicht verstehen?!
    Aber nichts an dem YouTube-Filmchen informierte diesen Menschen über die erste Hälfte der Geschichte, die ausschlaggebende Hälfte … Nichts! Und ohne die erste Hälfte wird die zweite Hälfte zur Fiktion! Zur Lüge!
    Und eins sag ich dir, Nestor: Bei Sonnenaufgang stecken wir bis zu den Knien in dieser Scheiße, und zu Mittag steht sie uns bis zum Arsch. Nestor spürt, wie sie ansteigt, dabei war es noch dunkel draußen.

Und es war immer noch dunkel, als der Chief, ein Frühaufsteher, um 6 Uhr einen Anruf auf seinem Privatanschluss bekam. Jorge Guba, einer von Dios Lakaien, sagte ihm, der Bürgermeister wolle ihn in eineinhalb Stunden zu einer Besprechung im Rathaus sehen. Um halb acht? Ja. Ob der Chief schon den YouTube-Clip gesehen hätte?
    Also warf der Chief einen Blick auf den YouTube-Clip. Genauer, er schaute ihn sich dreimal an. Dann schloss er die Augen, senkte den Kopf und massierte sich mit einer Hand die Schläfen … mit dem Daumen die eine Seite, mit Mittel- und Ringfinger die andere. Dann sagte er leise:
    »Das hat mir gerade noch gefehlt.«
    Griesgrämig weckte er seinen

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