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Back to Blood

Back to Blood

Titel: Back to Blood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolfe
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Chief setzte sich, wobei er auf perfekte Haltung achtete. Dann sagte der gute alte Dio, »Und, Chief, heute Nachmittag alles ruhig in der Bürgerschaft unserer Stadt?«
    Der Chief lächelte knapp und deutete auf das kleine Funkgerät am Gürtel seiner Uniform. »Keine einzige Meldung während der halben Stunde, die ich hier gewartet habe.«
    »Schön«, sagte der Bürgermeister mit zweifelnd spöttischem Gesichtsausdruck. »Also, Chief, was kann ich für Sie tun?«
    »Es geht um den Vorfall an der Lee de Forest High. Sie erinnern sich? Ein Lehrer wurde festgenommen, weil er einen Schüler angegriffen hatte. Er hat zwei Tage im Gefängnis gesessen. Der Prozess ist angesetzt, und für die Gerichte steht ein Lehrer, der sich an einem Schüler vergreift, auf der gleichen Stufe wie irgendein Dreckschwein, das im Park über eine gehbehinderte Oma herfällt.«
    »Okay, kapiert«, sagte der Bürgermeister. »Und …?«
    »Wir wissen jetzt, dass es genau andersherum war. Der Schüler hat den Lehrer angegriffen. Der Schüler ist der Boss einer haitianischen Jugendgang und hat eine ganze Latte an Vorstrafen wegen diverser Gewaltdelikte, und die anderen Schüler haben Angst vor ihm. Um genau zu sein, sie scheißen sich vor Angst in die Hosen. Er hat fünf seiner Kumpel dazu gezwungen, den Beamten zu erzählen, dass der Lehrer ihn attackiert hat.«
    »Okay, was ist mit den anderen Schülern?«
    »Alle, die die Beamten befragt haben, sagten, dass sie nichts wissen. Sie sagen, dass sie nichts gesehen haben oder dass sie gerade mit was anderem beschäftigt waren oder — kurz gesagt, dass dieser Schläger und seine Gang ihnen was antun würden, wenn sie auch nur eine Andeutung darüber machen würden, was passiert ist.«
    »Und jetzt …?«
    »Haben wir Geständnisse von allen fünf ›Zeugen‹. Sie geben alle zu, die Beamten angelogen zu haben. Was bedeutet, der Staatsanwalt hat keinen Fall. Mr. Estevez — das ist der Lehrer — bleibt ein Urteil erspart, das sehr hart hätte ausfallen können.«
    »Gute Arbeit, Chief, aber ich dachte, die Schulpolizei hat sich um den Fall gekümmert.«
    »Hat sie auch, aber jetzt fällt er unter die Zuständigkeit des Gerichts und der Staatsanwaltschaft.«
    »Nun ja, Chief, das ist doch ein wunderbares Happy End, oder?«, sagte der Bürgermeister, verschränkte die Hände mit weit ausladenden Ellbogen hinter dem Kopf und lehnte sich so entspannt zurück, wie sich ein Mann in einem Drehstuhl nur entspannt zurücklehnen konnte. »Danke, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, mir diese freudige Nachricht zu überbringen, Chief. Und deshalb wollten Sie einen persönlichen Termin bei mir? Zur hektischsten Zeit des Tages?«
    Die Ironie, die Unverschämtheit, die herabwürdigende und verächtliche Art, wie er ihn zur Nervensäge degradierte — die seine kostbare Zeit verplemperte — die abgrundtiefe Verachtung und unverhohlene Respektlosigkeit … das gab den Ausschlag. Das brachte das Fass zum Überlaufen … Jetzt war er nicht mehr zu bremsen … Er würde es tun … alles riskieren … sogar das von seiner geliebten Frau so geliebte Haus in Kendall … Ihr wunderschönes Gesicht blippte genau in der Sekunde durch seinen Hirnbalken, als er sagte, »Tja … da gibt’s allerdings noch einen Punkt.«
    »Ach?«
    »Ja. Der Beamte, der den Fall gelöst hat. Er hat einen schrecklichen Justizirrtum verhindert. Die Karriere des Lehrers wäre zerstört gewesen, vielleicht sogar sein Leben. Er hat diesem Beamten viel zu verdanken. Wir alle haben ihm viel zu verdanken. Ich bin sicher, Sie erinnern sich noch an seinen Namen … Nestor Camacho.«
    Der Name katapultierte den Bürgermeister aus seiner bequemen Rückenlage. Die Hände lösten sich von seinem Nacken, die Ellbogen knallten auf die Tischplatte, der Kopf kippte nach vorn. »Was reden Sie da?«, sagte er. »Ich dachte, der wäre vom Dienst supendiert?«
    »War er auch. Ist er immer noch. Aber sofort nachdem er mir seine Dienstmarke und seine Waffe ausgehändigt hatte — sicher keine Stunde später — hat er mir die Namen aller fünf Jungen genannt. Er hat das alles auf eigene Faust herausgefunden. Mit einem hatte er bereits ein langes Gespräch geführt, und der hatte seine Aussage vor der Schulpolizei widerrufen. Da er aber jetzt suspendiert war, habe ich das Detective Bureau beauftragt, die anderen vier zu befragen. Sie haben nicht lange an ihren Geschichten festgehalten. Als sie merkten, dass einer aus der Truppe geplaudert hat und dass sie wegen

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