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Back to Blood

Back to Blood

Titel: Back to Blood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolfe
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Nachttisch zeigte 5:05 Uhr. War sie eine Hure? Nein! So sah die moderne Form der Liebe aus! — einer Liebesaffäre! Womöglich war er verrückt nach ihr. Er war bereit, sie zu Tode zu lieben. Er konnte nicht genug bekommen von ihr, was hieß, von ihr selbst, ihrem Wesen, ihrer Einzigartigkeit als Mensch, ihrer Seele . Er wollte sie anschauen, begehren, sich ihr vollkommen hingeben, wollte sie jeden wachen Augenblick besitzen — und offensichtlich auch jeden nicht wachen Augenblick — Dios mío, sie war so müde, so erschöpft, sie wollte in Schlaf versinken — aber dann sah sie plötzlich das Bild von einem Frühstück mit ihm vor sich. Vielleicht in Frotteebademänteln. Sie hatte einige flauschige Frotteebademäntel im Bad gesehen … sie beide beim Frühstück an einem kleinen Tisch, sie schauen aufs Meer, schauen sich in die Augen, wohlig-matte Worte, Lachen über Kleinigkeiten, ihr gesamtes Dasein durchtränkt von der Süße, der Verträumtheit, entstanden aus, ja, aus sinnlich-göttlichen Gefühlen, der der … der … der Destillation von Dingen, die man mit bloßen Worten nicht ausdrücken kann, die vollkommene Hingabe an — !Dios mío! was war das? — Pling pling pling plingplingpling pling pling plingplingpling pling pling plingpling pling pling plingpling — Sergej drehte sich um und streckte den Arm aus — zu seinem iPhone auf dem Nachttisch. Die Musik war der leise, besänftigende Klingelton seines Handys! Pling pling pling plingplingplingpling pling pling — und sie kannte diese Musik … aber woher? Ahh! richtig, das war schon viele Jahre her! Ihre Mutter hatte sie an Weihnachten zweimal zu einem Kinderballett mitgenommen. Wie hieß das noch mal? Ihr fiel nur »Tanz der Zuckerzehen« ein … Quatsch, das konnte nicht sein! — »Tanz der Zuckerfee«! Genau, das war es! Ja, und das ganze Stück hieß Der Nussknacker! … Jetzt erinnerte sie sich. Das war von einem großen Komponisten … Wie hieß der noch mal? … Tschaiwowsky! … genau! … Tschaiwowsky! Er war ein wirklich großer Komponist, ein berühmter Komponist herrlicher Musik. Nestor blippte ihr in den Kopf. Der Gedanke, dass Nestor etwas mit Sergej gemein hatte — nämlich das Rumspielen mit Klingeltönen. Komisch. Selbst bei dieser Kleinigkeit, wenn man es genau bedachte, erwies sich Sergej als der Aristokrat. Tschaiwowsky — ein großer klassischer Komponist! … wohingegen Nestor sein wahres Hialeah-Ich entblößte … Er hatte sich einen zweitklassigen Song von Bulldog aussuchen müssen, was nach Tollwut klang — ein Abklatsch von Pitbull. Schon in so einer albernen Nebensächlichkeit wie der Wahl des Klingeltons war Sergej die Überlegenheit in Person. Sergej plingplingpling stützte sich auf einen Ellbogen. Sie betrachtete seinen geschwungenen, nackten Rücken. Was hatte er für einen großartigen Körper. Mit der anderen Hand nahm er das Telefon. Damit war es aus mit dem Nussknacker. Ein Anruf so früh am Morgen … Draußen war es noch dunkel.
    »Hallo«, sagte Sergej. Der Rest war auf Russisch. Seine Stimme wurde lauter. Er fragte den Anrufer etwas … eine Pause, während der Anrufer antwortete … Sergej stellte wieder eine Frage, noch lauter. Pause … Sergej stellte die nächste Frage, jetzt ziemlich verärgert. Während des ganzen Gesprächs verstand Magdalena nur ein einziges Wort — »Hallandale« — der Name einer Stadt gleich nördlich von Sunny Isles. Pause … und jetzt wurde Sergej richtig wütend. Er fing an zu schreien.
    Er warf das Handy aufs Bett. Er schwang seine Beine über die Bettkante, richtete den Oberkörper auf und stützte die Hände auf die Matratze … Er saß einfach da … kerzengerade.
    Leise sagte er etwas. Immer noch wütend. Er schüttelte den Kopf, als wollte er sagen, Ein hoffnungsloser Fall … hoffnungs los … hoffnungslos …
    »Was ist los, Sergej?«, fragte Magdalena.
    Er wandte ihr nicht einmal den Kopf zu. Er sagte nur ein Wort, »Nichts.« Und auch das sagte er nicht wirklich. Er hauchte es.
    Er stand auf und ging nackt … und dabei die ganze Zeit vor sich hin grummelnd und den Kopf schüttelnd … zu dem Wandschrank mit den Hausmänteln … und nahm einen von einem großen Mahagonibügel … Was für ein Prachtstück! Schwere Seide, marineblau, mittelblau und rot gemustert, feinste weiße Pünktchen, sprühend wie Kometen … riesige rote, gesteppte Kragen- und Ärmelaufschläge … Magdalena wusste, das war nicht Miami, was sie da sah … eher Winter in Sankt Petersburg …

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