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Back to Blood

Back to Blood

Titel: Back to Blood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolfe
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miserabler Körperhaltung, die seine Brust eingefallen und ihn zehn Zentimeter kleiner wirken ließ — Lokalchef Stan saß auf einem Stuhl und beobachtete aus etwa einem Meter Entfernung diese Vorstel lung. Er machte ein verkniffenes Gesicht. Ed Topping interpre tierte seinen Blick als den eines Mannes, der immer noch verblüfft war über das Wunder, an dem er teilgehabt hatte: das! … die heutige Ausgabe des Miami Heral d ! Um die Wahrheit zu sagen, weder in seinem Herzen noch auf seinem Gesicht machte Toppings »echter Journalismus« Eindruck auf Stanley Friedman. Das Einzige, was ihn umtrieb, war die Frage, wie lange er seinen Job nach haben würde. Vor zwei Wochen hatte der Mob, kurz für Chicago Mob, wie inzwischen jeder in der Lokalredaktion die vom Loop Syndicate aus Chicago entsandten sechs Männer nannte, die den Herald übernommen hatten, weitere 20 Prozent der Belegschaft gefeuert und sie damit auf 40 Prozent zusammengestutzt. Einschließlich Lokal chef Stan hatte jeder der Übriggebliebenen das Gefühl, als hinge sein Job an einem seidenen Faden. Die Moral war — welche Moral? Jeder achtete bei den Worten von Edward T. Topping IV nur darauf, ob er irgendwelche Anzeichen des drohenden Untergangs erkennen konnte. Darauf waren die zusammengekniffenen Augen des Lokalchefs gerichtet, auf den drohenden Untergang. Tatsächlich war Stan selbst nicht gefährdet. Der Mob brauchte einen Einheimischen als Lokalchef, jemanden, dessen Gehirn eine Datenbank war, vollgestopft mit Informationen über den gesamten Großraum Miami, über jede noch so kleine Straße, über alle vierzehn Polizeibezirke und ihre Grenzen — sehr wichtig, die Cops zu kennen — über die Schlüsselfiguren, vor allem über alle politischen Amtsträger mit Entscheidungskompetenz, über alle, außerdem über die Promis, besonders die unwichtigeren, die sich in Miami wohler als in Los Angeles und New York fühl ten … und … über die Nationalitäten und ihre Reviere … Little Havana und Big Hialeah … Little Haiti, Little Caracas, auch bekannt als Westonzuela, Mütterchen Russland (Sunny Isles und Hallandale) und den Hershey Highway, der Spitzname der Polizisten für die Anglo-Enklave von South Beach, die ansonsten »schwul« genannt wurde … Eine Liste ohne Ende, und der Lokalchef musste wissen, wer wen hasste und warum —
    »Schauen Sie sich das Layout an, Stan!«, sagte Ed, dessen Augen immer noch strahlten wie Glühbirnen.
    Er meinte die Titelseite. Eine tiefschwarze Schlagzeile verlief über die ganze Breite der Seite — HOCHSEILAKT: COP ALS LEBENSRETTER . Ganz rechts stand eine einsame Textspalte. Der Rest der oberen Hälfte der Titelseite bestand aus dem riesigen Farbfoto eines weißen Schoners mit zwei hoch aufragenden Masten und Wolken und Wolken weißer Se gel … die über der aquamarinblauen Weite der Biscayne Bay schwebten … unter der blassblauen Kuppel des Himmels … und weit, weit oben, sechs oder sieben Stockwerke über dem Deck, nicht größer als ein Daumennagel vor dieser gigantischen Weite, zwei winzige lebende Gestalten, zwei Männer, deren Leben von einem einzigen Mann abhängt, einem Mann, der mit einer Hand ein Tau am Fockmast umklammert … zwei Flecken, die aus diesen unermesslichen Dimensionen hervorstechen, zwei kleine Menschenwesen, nur einen Atemzug entfernt vom Sturz in den Tod … in einer Fotografie festgehalten von einem alten Herald -Fotografen namens Ludwig Davis, der so gut war, dass er dem Rausschmiss entronnen war. Darunter befand sich ein zweispaltiges Foto von einem jungen Mann mit nacktem, muskelbepacktem Oberkörper, jeder Muskel so klar hervortretend, dass sein Brustkorb aussah, als sei er in Schrumpffolie eingeschweißt. Dieses Foto auf der Titelseite war ein veritabler männlicher Helldunkelakt aus der Schule des Michelangelo.
    Ed Topping konnte seine ehrfürchtige Freude über das große Farbfoto des Schoners nicht verbergen. Er reckte seine beiden Daumen in die Luft, was so viel heißen sollte wie »Das ist es, erste Sahne!«
    »Kein anderes Medium, Stan, hätte mit diesem Bild auch nur annähernd mithalten können!«, sagte der aufgekratzte Chefredakteur. »Zeitungspapier ist fabelhaft für Farbe, solange man große Objekte mit gleichmäßiger Helligkeit hat, wie den Himmel, die Bucht, den Schoner, den Rumpf, die riesigen, vollkommen weißen Segel — und wissen Sie was? Durch die schlechte Auflösung auf Zeitungspapier wirken die Farbblöcke gleichmäßiger. Wie bei einem japanischen

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