Backstage
Panitz haute vor der Erfassung ab nach Westberlin.»
Reimann leerte das Glas. Er war in Schwung.
«Du rechnest jetzt, Melissa, ich seh es dir an. Tom ist ein Jahr älter als Panitz. Einundsechzig geboren. Offiziell fünfundsechzig, klar? Tom blieb in Heidelberg, wollte nicht mit nach Berlin, fühlte sich dort eingesperrt. Und dazu die langen Fahrtwege zu den Gigs, damals noch mit dem Auto, bis man mal an der Grenze zum Westen war, nur Leerkilometer. Nee, nicht mit Tom. Er suchte sich einen neuen Gitarristen, unterstützte aber Panitz. Es gab irgendeine finanzielle Absprache, dafür durfte Tom die gemeinsamen Songs weiterspielen und bei der Gema anmelden. Panitz war ein mittelmäßiger Gitarrist, er konnte sich in Berlin nicht durchsetzen. Er war abhängig von Toms Charisma, seiner Wirkung auf das Publikum und von den Texten, die richtigen für diese Zeit. Tom wurde immer bekannter. Damit hört die Geschichte auf, für viele Jahre. Aber - kürzlich hat Tom beschlossen, sich eine Zweitwohnung in Berlin zuzulegen. Ich beauftrage also die Agentur, ihm vorab interessante Objekte zuzuschicken. Und siehe da, Panitz taucht wieder auf.»
Reimann stellte das leere Glas ab, warf einen bedauernden Blick darauf.
«Zwei Drinks sind genug. Sekunde.»
Er zog sich den Aktenkoffer auf den Schoß, schloss auf, kramte und reichte Melissa einen Zeitungsausschnitt.
Luxuseigentumswohnungen wurden angeboten, im neuen Medienviertel am Osthafen Berlins, von einer Immobilienfirma namens Teichert und Panitz.
«Fred Panitz.»
«Bitte?»
«Panitz' Vorname ist Fred.»
«Fred. Richtig. Tom war wie elektrisiert. Rief an und lud ihn ein, mit nach Amsterdam zu fahren. Sag mal, hast du eine Zigarette für mich? Eigentlich hab ich ja aufgehört.»
Melissa funktionierte den Karton für die Filter zu einem Aschenbecher um, gab Reimann eine der Vorgedrehten, steckte sich selbst eine an. Die beiden standen an der offenen Terrassentür, bliesen den Rauch ins Freie.
«War das ein Urlaub in Amsterdam?»
«In gewisser Weise. Erholung sollte im Vordergrund stehen. Wellness. Vorbereitung auf das Video.»
Melissa dachte an das CD-Cover. Unterspritzt, vermutete sie. Gesichtsfalten unterspritzt. Und einen persönlichen Trainer, um den Körper in Form zu bringen und was sonst noch in der einen Woche getan werden konnte, um Braun für den Dreh strahlend aussehen zu lassen. In dieses Programm passte kein alter Freund, ein Wiedersehen nach vielen Jahren, gefeiert auf Sauftouren oder mit anderen Drogen, durchgemachte Nächte.
Melissa zog an der Zigarette, genoss für Momente den spektakulären Blick. Der Platz, mitunter als schönster Europas ausgegeben, mit der Aussicht auf die beiden Dome und das Schauspielhaus, mit Häusern, gebaut zu DDR-Zeiten, für Privilegierte, und in der Nach-Wende-Zeit für Privilegierte anderer Art, diese mit Geld. Der Platz in mildem Sonnenlicht, dem Herbst entliehen, das noch nicht wärmte. Einige Unerschrockene saßen um Cafétische.
«Du hast von Imagewechsel gesprochen.»
«Tja, die Zeiten ändern sich. Wenn Tom nicht eines Tages seine alten Songs revivaln will, müssen wir ein neues Publikum erschließen. Die ältere Generation ist offener geworden. Sogar in der Volksmusik haben Pop und Rock Einzug gehalten. Ich hab Tom ein paar neue Songs nach Amsterdam gefaxt. Aber dieser Panitz.» Reimann zog mit der gleichen Gier, mit der er die Drinks vernichtet hatte.
«Man muss sich kümmern.»
«Braun hat doch sicher einen Festdeal mit seiner Plattenfirma. Dazu Konzerte, Merchandising ...»
«Du bist herzlos. Unmöglich. Scher dich in dein Hotel, Lilli, und warte, bis ich dich anrufe», brüllte Braun von drinnen. Melissa und Reimann warfen ihre Kippen auf den Boden der Terrasse, Melissa trat sie aus.
Tom Braun war wach.
Paula machte Melissa ein Zeichen, das telefonieren bedeutete, betrat mit Lilli den Fahrstuhl. Sie würde sich Toms Ehefrau vornehmen.
Melissa vergewisserte sich, dass das zweite Handy lautlos gestellt war, ein winziges Gerät, das Gleiche besaß Paula, die Nummern kannten nur die beiden. Dann wandte sie sich Braun zu. Sein Gesicht war nicht drehreif, verquollene Züge, grau, die Haare verfilzt. Wüst beschimpfte er seinen Manager, der ihm Lilli nicht vom Hals gehalten habe.
«Stell dich nicht auf ihre Seite. Es ist kompliziert genug. Überleg dir, wer deine Brötchen bezahlt.»
Reimann stand dem Tobenden, scheinbar ungerührt, gegenüber. Plötzlich packte er Braun am Arm, winkte den allgegenwärtigen
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