Bad Fucking
Chancen, dass man wieder nach ihr suchte. »Greg, here I’m, Greg, hello, Greg, can you hear me?«
Nachdem sie die Autobahn verlassen hatte, fuhr Camilla Glyck auf einer kurvenreichen, schlecht ausgebauten Landstraße einen See entlang. Obwohl sie zügig unterwegs war, wurde sie ständig von anderen Autofahrern angehupt, angeblinkt und überholt. Die Menschen hierkonnten es kaum erwarten, endlich zu ihren Rohbauten oder in die Wirtshäuser zu kommen. So raste jeder seinem Glück entgegen, und den Rettungsfahrern wurde garantiert nicht langweilig.
Die Orte, durch die Camilla fuhr, hießen Miesling, Schlaff oder Ach. ›Reizende Gegend‹, dachte sie und erschrak, als sie plötzlich einen Hund am Straßenrand sah. Sofort musste sie an ihr morgendliches Malheur denken und bekam eine Gänsehaut. Aber die Vorstellung, dass der Köter die vergifteten Knacker wahrscheinlich längst gefressen hatte und tot im Hof lag, beruhigte Camilla.
Sie rechnete sich aus, dass sie kurz vor zwölf in Bad Fucking ankommen müsste. Einen groben Plan hatte sie sich bereits gemacht. Als Erstes würde sie ihre Sachen ins Hotel bringen, dann würde sie dem Polizeiposten einen Besuch abstatten und anschließend mit dem Bürgermeister Aloysius Hintersteiner sprechen.
Das Sirenengeheul eines Rettungswagens riss Camilla aus ihren Gedanken. Sie verlangsamte das Tempo und fuhr an den Straßenrand, bis die Rettung im Rückspiegel verschwunden war. Hatte es gerade HASI 17 oder LULU 11 erwischt? Camilla hatte das Gefühl, dass die Rettung viel zu schnell unterwegs war, und musste an den spektakulären Unfall denken, bei dem ein Rettungsauto frontal gegen einen Leichenwagen gekracht war und dabei nicht nur der Verletzte, den die Rettung ins Krankenhaus transportieren sollte, sondern auch die beiden Sanitäter und der Fahrer des Leichenwagens starben. Nicht genug damit, war auch noch die Leiche aus dem Sarg geschleudert worden, und die Polizei hatte Stunden gebraucht, bis sie wusste, welcher Tote wohin gehörte.
Camilla schaltete das Radio ein. Ein Moderator unterhielt sich am Telefon mit einem jungen Mädchen, dasdas Wetter
urgeil
fand und sich für ihre Freundinnen im Schwimmbad einen Song wünschte, in dem die Worte
love, destiny
und
heart
zirka fünfundzwanzigmal vorkamen. Camilla fand das Wetter weniger geil, weil sie das Gefühl hatte, dass es im Auto trotz der Klimaanlage immer heißer statt kälter wurde. Aber die paar Minuten bis Bad Fucking würde sie auch noch überstehen, vorausgesetzt, dass der LKW vor ihr irgendwann einmal abbog. Die Plane des Lastwagens zierte eine Werbung für
frische Naturdärme
, und schon musste Camilla wieder an die Knacker und den Hund denken. Um sich abzulenken, studierte sie die Plakate am Straßenrand. Bei einem Hallenfest in Wankham – »I wank ham, wankst mit?« – spielten die
Zillertaler Haderlumpen
, und bei einem der üblichen Wochenendbesäufnisse in Neukirchen, das von einem schlauen Bürschchen kurzerhand in
Ecclesia Nova
umbenannt wurde, traten weltbekannte Bands wie
Starmix, X-Plosive
oder
Real Liberty
auf. Gesponsert wurden
Events
dieser Art üblicherweise von den lokalen Bestattern. Die mussten ja schließlich auch von etwas leben.
Philipp Hintersteiner stand vor der Haustür und schaute verschämt nach links und rechts. Ihm war es peinlich, vor dem Haus seines Vaters zu stehen und wie ein Fremder zu läuten. Als nach dem dritten Läuten noch immer niemand öffnete, drückte Philipp die schmiedeeiserne Klinke und wunderte sich, dass nicht abgeschlossen war. ›Also ist doch jemand zu Hause‹, dachte er und betrat das Stiegenhaus. »Hallo, ist jemand da? Ich bin’s.« Philipp merkte, wie sein Mund trocken wurde. Er fuhr sich mit der Zunge über die Fieberblase undärgerte sich, dass er Vroni mit so einer Pletsche nicht küssen konnte. ›Ich muss mir sofort eine Salbe besorgen.‹ Er stellte sich vor, wie er Vroni auszog und sie ihm bereitwillig ihre –. ›Hier riecht es ja nach Scheiße. Ach du meine Güte, haben die Pilze eine derart starke Wirkung gehabt?‹ Philipp ging in die Küche, wo auf dem Tisch Medikamentenschachteln lagen. Auf dem Boden entdeckte er eine braune Spur. ›Das ist es, was so stinkt.‹ Er folgte der Spur und blieb in der Wohnzimmertür stehen. Philipp hatte keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte. Sein Vater saß zusammengekrümmt auf einem Fauteuil und hielt in der rechten Hand, die schlaff über die Lehne hing, ein Blatt Papier. Auf der Couch lag jemand
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