Bär, Otter und der Junge (German Edition)
letzter Nacht noch einmal betrachte, hasse ich mich selbst dafür, so nichtsahnend in ihre Falle gestolpert zu sein. Ich wünschte, ich könnte glauben, dass ihre Drohungen leer sind, aber das kann ich nicht. Der kleine Teil von mir, der vom Ozean träumt, erinnert mich daran, wie einfach es für sie wäre, zurückzukommen und mir den Jungen wegzunehmen. Es schwillt in mir an und droht ein weiteres Mal, die Kontrolle zu übernehmen. Ich weiß noch immer nicht, ob ich stark genug bin, es wegzuschieben, es zu töten. Ich hatte Creed gesagt, dass das, was ich für seinen Bruder empfinde, stark ist und das war keine Lüge. Nur ist es nur eine Seite des Krieges, den ich zu gewinnen versuche.
Du hast ihn einfach stehen lassen, flüstert sie. Du hast da gesessen und ihm ins Gesicht gelogen und bist dann einfach weggegangen. Was lässt dich denken, dass er dich auch nur eines Blickes würdigen würde? Du hast Creed gehört: er ist zerstört, und du hast ihn zerstört . Dazu warst du immerhin stark genug, nicht wahr?
Oh, so süße, sanfte Worte.
I CH BEENDE die Geschichte, die letzte Geschichte die ich, schätze ich mal, für eine Weile erzählen möchte. Alles, was ich möchteist, nach Hause zu gehen, mich für eine Woche hinzulegen und mich um alles weitere kümmern, wenn ich aufwache. Nur ist mir klar, dass ich das nicht kann, denn wenn ich meine Augen schließe, ist er da. Lachend, grinsend, tanzend.
Ich sehne mich nach ihm.
„Was hat sich bitte geändert?“, fragt Creed. „Was lässt dich ihn jetzt wollen, nach dieser Arschloch-Aktion, die du gestern Abend abgezogen hast?“
Ich versuche zu lächeln, aber es endet wohl eher als Grimasse. Seit ich meinen Mund geöffnet und um Hilfe gebeten habe, um den Mist, den ich verbockt habe, wieder gutzumachen, habe ich auf diese Frage gewartet. Ich bin beinahe amüsiert darüber, dass offenbar nie in Frage gestellt wurde, dass ich ihn zurück möchte, dass ich diesen ganzen Mist von Anfang an hätte vermeiden sollen. Die Frage ist, ob Otter jeglichen gesunden Menschenverstand hinter sich lassen und in einem Raum mit mir sein kann. Aber das ist unerheblich. Ich habe zu lange gezögert und die anderen starren mich an, warten auf eine Antwort. Ich versuche die Worte zu finden, die ausdrücken, wie sich ein liebeskrankes, wollüstiges Herz anfühlt, wenn es wie Glas zersprungen ist. Ich muss ihnen verständlich machen, dass ich ohne ihn nicht vollständig bin. Aber ich schätze, ich habe alles zum Thema gesagt. Vielleicht sollte ich Otter zu Wort kommen lassen.
Ich ziehe den Geldbeutel aus meiner Hosentasche und hole den Brief heraus, den ich zwanzig Monate heimlich aufgehoben hatte. Ich muss ihn nicht nochmal lesen. Ich kenne ihn bereits auswendig.
Ich weiß, dass Du verletzt warst, und du hast jeden Grund, wütend zu sein, aber ich will, dass Du weißt, dass nicht ein Tag vergangen ist, an dem ich nicht an Dich und Ty gedacht habe. Vielleicht ist das meine Strafe. Zu wissen, dass es Dir gut geht, und zu wissen, dass ich nichts damit zu tun habe. Nebenbei bemerkt, bin ich stolz auf Dich, für das, was Du geleistet hast, obwohl Menschen ihre Versprechen Dir gegenüber brechen.
Es war gut, Dich zu sehen, auch wenn es nur für einen Moment war. Ich bin froh, dass ich den Moment bekommen habe. Ich habe Dich vermisst, Papa Bär.
Anna greift zuerst nach dem Brief. Ich hatte beinahe vergessen, dass sie überhaupt da ist. Sie braucht nur einen Moment um die Worte, die sie merklich anspannen lassen, zu lesen. Sie drückt ihn Mrs. Paquinn in die Hand, die das verschlissene Papier vorsichtiger behandelt. Anna sieht mich mit bestimmter Miene an. „Wann?“, fragt sie. „Wann hat er dir das geschickt?“
Einen Moment bin ich versucht zu lügen. Aber ich tue es nicht. „Er hat ihn vorletztes Weihnachten an mein Auto geklemmt.“
Sie nickt und sieht weg.
Mrs. Paquinn schnüffelt. „Es klingt, als habe er sich verabschiedet.“
Creed liest und reicht dann den Brief an den Jungen weiter. „Es klingt, als versucht er sich dafür zu entschuldigen, dass er weggeht“, sagt Creed.
Dann spricht der Junge: „Nein“, sagt er und sieht von der Seite auf. Er faltet den Brief vorsichtig zusammen und gibt ihn mir zurück. Er wartet, bis ich ihn an seinem rechtmäßigen Platz verstaut habe und sagt dann leise: „Das ist ein Liebesbrief. Er sagt Bär, dass er ihn liebt, ohne die Worte auszusprechen.“ Ein weiteres Mal hat der Junge gesehen, was die meisten von uns nicht sehen konnten. Ich
Weitere Kostenlose Bücher