Bär, Otter und der Junge (German Edition)
sollte nicht länger überrascht sein, wenn er einen Einblick hat, wie sonst keiner von uns.
„Damals schon?“, fragt Creed. „Das Alles geht so weit zurück?“
Und dann erhebt sich Anna. Ihr Körper ist zum Zerbersten angespannt, ihre Fäuste geballt, ihre Augen feucht und wütend. Ich denke nicht, dass ich sie jemals zuvor so gesehen habe, nicht einmal dann, als wir Schluss gemacht haben. Sie tobt vor Wut und ich weiß, dass es meine Schuld ist. Ich hab so viele gottverdammte Fehler gemacht. Ich war egoistisch. Ich war ein Lügner und Anna war hauptsächlich die Leidtragende gewesen. Ich hatte das Schlimmste erwartet und es sieht so aus, als würde ich es bekommen. Schließlich verdiene ich es.
„Du verfluchtes Arschloch!“ schreit sie. Ich zucke ein klein wenig zurück, als sie auf mich zu läuft und beginnt, mit ihren Händen auf meine Brust einzuschlagen. Ich hebe schützend die Hände, aber Creed hat sie bereits weggezogen, und ich darf mit einer völlig unpassenden Heiterkeit feststellen, dass der Junge sich zwischen sie und mich geschoben hat und versucht, mich mit seinem kleinen Körper zu beschützen. „Wie kannst du es wagen ?“, kreischt sie und versucht, sich aus Creeds Griff zu befreien. „Du Wichser!“ Sie dreht sich um zu Creeds Schulter und schluchzt. Der Junge ist nervös. Ich lege ihm eine Hand auf die Schulter und wünschte, alles wäre anders.
Ein paar Minuten später, nachdem Creed ihr etwas ins Ohr geflüstert hat, findet Anna einen Teil ihrer Fassung wieder. Er hält sie noch immer fest und lässt sie nicht in meine Nähe, doch sie wendet sich mir zu. Ich denke, es ist das Beste, es hinter mich zu bringen und sie sagen zu lassen, was sie zu sagen hat, aber natürlich läuft es nicht so.
„Anna“, sagt der Junge zwischen zusammengepressten Zähnen hindurch. „Bär hat Fehler gemacht. Das hat er schon zugegeben. Du hast jedes Recht, sauer zu sein, aber wenn du ihn nochmal schlägst, schwöre ich dir, dass ich zurückschlage. Mir ist es egal, dass du ein Mädchen und größer bist als ich. Wenn du ihn auch nur berührst, wird es das letzte sein, was du tust.“
Willst du wissen, wie es sich anfühlt, kastriert zu werden? Versuch dich von deinem neunjährigen Bruder vor deiner Exfreundin beschützen zu lassen, nachdem du ihr erzählt hast, dass du in einen Mann verliebt bist.
Wir alle starren den Jungen an, dessen Gesicht weiß vor Wut ist. Anna dreht sich um. Ich schätze, dass sie rausgehen wird und ich kann es ihr nicht verübeln. Aber sie überrascht mich, als sie innehält. Einen Moment lang fühlt es sich so an, als würde die Stille uns alle erdrücken. Dann: „Hast du jemals echte Zuneigung für mich empfunden?“
Creed schüttelt den Kopf, dann sacken seine Schultern zusammen. Er sieht aus, als wolle er sich bei mir für sie entschuldigen, aber ich bringe ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Es ist unrealistisch zu erwarten, dass sie die gleiche Reaktion wie Creed zeigt. Sie hatte mehr zu verlieren, und ich kann niemandem außer mir die Schuld dafür geben.
„Natürlich habe ich das“, sage ich wahrheitsgemäß. „Das musst du mir glauben. Das tue ich noch immer.“
Sie wirbelt herum, ihre Augen blitzen. „Ich weiß nicht, was ich dir noch glauben kann. Ich hab dir so viele Möglichkeiten gegeben, so viele Chancen die Wahrheit zu sagen.“
Ich lege den Kopf zur Seite. „Du hast es gewusst, oder?“ Die Worte sind raus, bevor ich sie aufhalten kann.
Ihr Haar wippt wütend, als sie nickt. „Ich wusste... irgendwas. Ich wollte es nicht glauben. Aber man kann sich nicht so nahe stehen wie wir beide und es nicht sehen. Wie du dich in seiner Nähe verhalten hast. Etwas in deiner Stimme, wenn du über ihn gesprochen hast, selbst wenn du stinksauer warst. Ich hab mir gesagt, dass ich es mir nur einbilde, dass ich nur –“
„Projiziert hast?“, frage ich, nicht in der Lage, meine dämliche Klappe zu halten.
Sie lacht humorlos. „Du Arschloch“, wiederholt sie. „Warum hast du`s mir nicht einfach erzählt?“
„Ich hatte Angst.“
„Vor mir?“
Ich schüttle den Kopf. „Nein. Vor allem anderen. Ich wusste nicht, wer ich war, viel weniger, was ich tue. Ich dachte, das wäre inzwischen offensichtlich.“
Sie runzelt die Stirn, ihre Wangen noch immer feucht. Gott, sie ist so wunderschön.
„Und jetzt?“, fragt sie.
Ja, Bär, fragt sie. Was jetzt. Weißt du, sie hat Recht. Sie hat dir so viele Einleitungen geboten. Und hier tut sie es wieder. Ich
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