Bär, Otter und der Junge (German Edition)
starrte. Otter folgte mir einen Moment später und stellte sich neben mich. Er sagte kein Wort, aber stieß mit seiner Schulter immer wieder sanft gegen meine, um mich wissen zu lassen, dass er noch immer da war. Mehr brauchte ich nicht.
Es stellte sich heraus, dass die 137,50 Dollar, die mit dem verdammten Brief in dem Umschlag gewesen waren, alles waren, was unsere Mutter uns hinterlassen hatte. Ich hatte über dreitausend Dollar von meiner Arbeit auf einem Konto gespart. Gespart für dann, wenn ich aufs College gehen würde. Es war der letzte Schlag ins Gesicht, den meine Mutter austeilte. Wie auch immer, zu meinem Ärger war Creed oder Anna oder Otter an meine Bankinformationen gekommen und irgendwie war das Geld auf magische Weise ersetzt worden. Ich wusste, dass einer ihrer Eltern es getan haben musste und protestierte lautstark. Mir wurde gesagt, ich solle die Klappe halten und dass ich mich daran erinnern sollte, dass ich versprochen hatte sie helfen zu lassen. Außer einem gedemütigten Danke, sagte ich nichts weiter dazu und fragte auf der Arbeit sofort nach weiteren Schichten. Ich schwor mir, sie nie mehr wieder in diese Situation zu bringen.
Das ist also, was geschehen war.
Ich weiß, ich weiß. Ich kann dich praktisch sagen hören: Aber Bär, das erklärt nicht, was zwischen dir und Otter geschehen ist. Das ist doch der ganze Sinn dieses Rückblicks! Dazu komme ich gleich. Ich muss nur darüber nachdenken, was ich sagen soll. Er hat etwas mit mir gemacht, ja, aber ich spreche hier nicht von etwas Physischem. Er hat etwas mit meinem Kopf angestellt, und darüber zu sprechen, ist das Schwerste von Allem. Also, warum stehen Otter und ich mit dem halb geschmolzenen Sojaeis des Jungen im Regen? Warum klammere ich mich an ihm fest wie Ty es an mir getan hatte, als wir ihm von unserer Mom erzählt hatten? Ich tue es, weil ich Angst habe, dass er verschwindet, obwohl er gesagt hat, dass er es nicht tun würde. Angst, dass er mich verlassen und ich wieder allein sein würde. Aber ich bin nicht so einer , okay? Ich bin nicht so einer.
Das bin ich nicht.
E TWA zwei Wochen, nachdem ich meinen Schulabschluss gemacht hatte, kam ich von der Arbeit nach Hause. Es war beinahe zehn Uhr abends. Zu diesem Zeitpunkt meines Lebens, war ich die meiste Zeit müde. Nichts erschöpft einen Menschen mehr, als ein permanenter Zustand von Trauer und Wut. Ich wechselte ständig zwischen den beiden, versuchte allerdings meinen Gefühlsaufruhr zu verstecken, damit niemand bemerkte wie schlecht ich dran war. Als ich unsere Wohnung betrat, sah ich Mrs. Paquinn auf unserer Couch sitzen, Ty schlafend neben ihr, sein Kopf in ihrem Schoß.
Mrs. Paquinn ist unsere Nachbarin.. Sie ist schon in ihren Siebzigern, aber ihr Gehirn funktioniert schneller, als das der meisten Menschen, die ich kenne. Wann immer wir einen Babysitter brauchen, ist sie ohne Fragen bereit, auf Ty aufzupassen. Sie lebt schon seit dreißig Jahren alleine, seit ihr Ehemann in sehr jungen Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war. Sie ist immer sehr stolz, wenn sie mir erzählt, dass er noch zwei Wochen weitergelebt hätte, zu stur in diesem Leben, um ins nächste überzutreten. Ich weiß, dass sie eine Tochter gehabt hatte, die ebenfalls verstorben war, was allerdings geschehen sein musste, als sie noch sehr jung gewesen war. Sie hatte gesagt, dass Gott sie mit einem Kind gesegnet hatte, aber dass sie zu wertvoll war und Er sie deshalb gleich wieder zu sich genommen hatte. Als ich es zum ersten Mal hörte, war mein erster Gedanke, dass Gott ein egoistischer Mistkerl sein musste.
Ich hatte letztlich den Mut aufgebracht, ihr zu erzählen, was geschehen war und dachte, sie würde sich mitleidig zeigen und ich ihr wie jedem anderen, fürchterlich leid tun würde. Ich dachte sogar, sie würde ein wenig weinen. Aber sie tat nichts dergleichen, erzählte mir stattdessen wie mutig ich sei das zu tun, was ich tue, und dass ich sie an ihren verstorbenen Mann Joseph erinnern würde. Sie sagte mir, ich solle mich niemals scheuen, sie nach Hilfe für den Jungen zu fragen und dass sie jederzeit auf ihn aufpassen würde. Da sie nur von einer kleinen Rente lebte, hatten wir sie immer bezahlt und ich stellte sicher, dass sich das nicht änderte. Das erste Mal, als ich ihr Geld geben wollte, konnte ich sehen, dass sie protestieren wollte, aber sie muss irgendetwas in meinen Augen gesehen haben, denn sie sah mich lange an und nahm dann das Geld ohne weitere Fragen. Zumindest hierbei
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