Bärenmädchen (German Edition)
kümmern, stieg er in seinen Wagen und fuhr davon.
Es war dann Anatol, der Anne endlose Zeit später aus der Stehposition befreite. Sie musste dringend Wasser lassen und ihre Unterschenkel schmerzten höllisch vom Stehen auf dem Fußspitzen. Als sie Anatol im Tor des Spiegelsaales stehen sah, wieherte sie verzweifelt. Er kam herbeigeilt und lobte sie ausgiebig, dass sie so lange durchgehalten hatte. Als er ihre Not erkannte, ließ er sie sich erleichtern und wunderte sich sehr, dass Rockenbach Anne anscheinend völlig vergessen hatte.
Anne wunderte sich nicht und sie konnte Rockenbach auch nicht böse sein. Sie hatte sein bestürztes Gesicht gesehen, als er hörte, wen Ortega gekauft hatte. Mechanisch wie ein Roboter war er zu seinem Geländewagen gegangen und dann mindestens doppelt so schnell davon gerast, wie es Abner in seinem Porsche getan hatte. Allerdings nicht in Richtung Schloss, sondern in den Wald hinein. Wahrscheinlich musste er in diesem Augenblick allein sein.
Als Anne ihn am nächsten Morgen wiedersah, wirkte er allerdings vollkommen normal. Er benahm sich, wie in der Zeit vor dem stürmischen Kuss auf dem Hof. War ihm in der Wildnis klar geworden, wie lächerlich es für einen harten Kerl wie ihn war, sich derart liebeskrank aufzuführen. Anne vermutete es. Schließlich entsprach es letztendlich dem Bild, das sie sich von ihrem Herrn machte. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er ähnlich stark für jemanden empfinden konnte, wie Adrian es für sie tat.
Fast im Widerspruch dazu stand ein anderes Gefühl, das Rockenbachs Verhalten in ihr auslöste. Eine Empfindung, die ihr ein schlechtes Gewissen bereitete, der sie sich aber einfach nicht entziehen konnte. Es gefiel ihr durchaus, dass die Gunst ihres Herrn nun nicht mehr ausschließlich Ines galt. Als Anne einige Tage später an einem lauen Sommerabend angeschirrt wurde, als Rockenbach erschien und er offensichtlich ihr Fahrer sein würde, kribbelte es daher angenehm in ihrem Bauch. Sie war stolz, dass er sie für diese Ausfahrt zur ungewöhnlichen Tageszeit erwählt hatte. War es nicht fast wie ein Rendezvous? Ein Date, das ihr Gebieter allein mit ihr arrangierte?
Die Sonne stand bereits so schräg, dass sie direkt durch die große vordere Türöffnung in die Spiegelkammer hineinfiel. Anne, die abfahrbereit mit dem Kopf zum Ausgang stand, den Kopf in „Himmelsgucker-Pose“ hochgebunden, kniff die Augen zu, um nicht geblendet zu werden, und versuchte neugierig, unter fast geschlossenen Lidern nach draußen zu spähen. Rockenbach marschierte dort draußen im Hof herum. Sie fragte sich, wann er zu ihr kommen würde, um loszufahren. Aber er schien auf irgendetwas zu warten. Angespannt sah er aus. Mit einer fast wütenden Bewegung warf er eine ausgerauchte Zigarette weg und zündete sich eine neue an. Sie schnupperte, ob sie den Rauch wahrnehmen konnte. Er bevorzugte eine moldurische Marke. Der Rauch roch süßlich und stark nach Kräutern.
In diesem Augenblick allerdings nahm sie nur das würzige Aroma geschnittenen Grases wahr. Die Rasenflächen rund um den Stall waren tagsüber gemäht worden. Vom Speisesaal her meinte Anne zudem bereits den schwachen Geruch ihrer Abendmahlzeit wahrzunehmen. Säuerlich und bitter stieg er in ihre Nase. Sofort spürte sie nagenden Hunger. Anne begann unruhig auf der Stelle zu trippeln. Nervös kaute sie auf dem Gebiss in ihrem Mund herum. Wenn es nicht bald losging, würde sie eventuell gar nichts zu essen bekommen.
Draußen marschierte Rockenbach wieder in ihr Sichtfeld. Sie wieherte ungeduldig. Er schaute herüber. Sie glaubte, ein kurzes Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen. Dann stapfte er weiter. Bedrückt und gereizt, wie er aussah, würde er ihr nichts durchgehen lassen. Eine Weile überließ sie sich dem prickelnden Gefühl zwischen Lust und Angst, das sie bei dieser Vorstellung überkam. Oh, sie würde alles daran setzen, ihm eine gehorsame Stute zu sein. Sie wollte ihn aufmuntern, ihn wieder fröhlich machen. Dafür würde sie sogar auf ihr Abendessen verzichten.
Manchmal, wenn sie ausfuhren, gab er die Zügelsignale so fein, dass Anne sie kaum erahnen konnte. Wenn sie dann trotzdem willig und schnell reagierte, lobte er sie. „Fein, feines Stüttchen“, ertönte seine tiefe, brummelige Stimme von hinten. Voller Freude hörte sie es. Dann schleuderte sie ihre Beine noch ein Stück höher und flog noch schneller dahin, selbst wenn sie eigentlich schon müde war.
Saß Anatol im Sulky war
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