Bärenmädchen (German Edition)
sie war doch nicht unterbelichtet. Anne versuchte, sie so klug und intelligent wie nur möglich anzuschauen, nickte gravitätisch und ignorierte das Perserkätzchen von da an geflissentlich. Irgendwann wurde sie dann schließlich von ihrer Bewacherin zum Mittagsmahl in den Speisesaal geführt.
Ines und Rockenbach sah Anne dann im Laufe des Tages noch mehrfach, aber nichts schien in ihrem Verhalten auf das Vorgefallene hinzudeuten, außer der Tatsache, dass ihr aller Herr plötzlich blendender Laune war. Die Peitsche blieb wie festgeklebt im Gürtel stecken, und selbst die mittelmäßigsten Leistungen seiner Stuten lösten allenfalls einen milden Tadel aus. Am Abend aber passierte Unerhörtes. Rockenbach, der offensichtlich Feierabend machte und den Rest der täglichen Arbeit Anatol überließ, fuhr mit Ines gemeinsam davon. Anne sah sogar, dass ihre Freundin auf dem Beifahrersitz Platz nehmen durfte!
Zufällig hatten es auch die meisten anderen Stuten mitbekommen und das hatte erstaunliche Auswirkungen. Die Tatsache, dass eine von ihnen so sehr herausgehoben wurde, versetzte alle in große Aufregung. Sie wurden gereizt und zickten sich untereinander bei jeder Gelegenheit an. Das abendliche Fangenspielen geriet fast zu einer Massenprügelei. Jede der Stuten trug Kratzer und Bissspuren davon, bis Anatol scharf durchgriff. Eine nach der anderen wurden sie viel früher als sonst in ihre Boxen verfrachtet und besonders streng zur Nacht gefesselt. Am nächsten Morgen, alle Stuten hatten ihn in ihrer unbequemen Lage wohl sehnlichst herbeigewünscht, waren dann alle sehr umgänglich. Anne, die sich am Vortag ebenfalls von der Stimmung der anderen hatte anstecken lassen, wurde zudem klar, wie sehr sie sich eigentlich für Ines freute.
In den nächsten Tagen wurde dieses Arrangement dann schnell selbstverständlich. Ines stieg jeden Abend in Rockenbachs Wagen und kehrte erst am Morgen mit ihm zurück. Erfreuliche Auswirkungen hatte es auch. Anne vermutete jedenfalls stark, dass es einen Zusammenhang gab. Ihr Essen schmeckte plötzlicher besser. Es war vielseitiger, kräftiger gewürzt und gleichzeitig nicht mehr so bitter. Außerdem wurden ihre Hände bei den Ausfahrten nicht mehr ganz so brutal nach oben verschnallt. Das war eine große Erleichterung. Und Rockenbach? Der war fortan bester Laune und zuweilen so nachsichtig im Training, dass Anne sich manchmal fast einen strengeren Herrn wünschte.
So war Anne vielleicht auch die einzige, die ermessen konnte, was die Nachricht für Rockenbach und Ines bedeutete, die Ben Abner eines Morgens höchstpersönlich überbrachte. Er kam in seinem schwarzen Porsche auf den Hof gerollt. Erst ließ er sich von Rockenbach die Ausbildung der Stuten vorführen, dann lenkte er – für ihn galt Rockenbachs Regel, niemand anderen fahren zu lassen, offensichtlich nicht – selbst einmal Florence im Sulky über den Parcours. Schließlich vögelte er Anne ausgiebig in einem der Zimmer des Nebengebäudes.
Danach machte sich Abner wieder auf den Weg zurück zum Schloss. Vorher aber nahm er Rockenbach noch einmal beiseite. Sie standen direkt neben Anne, die Abner an der Tür zum Nebengebäude in die Stehposition kommandiert hatte. Der Schlossherr erklärte einem sichtlich stolzen Rockenbach, wie zufrieden er mit ihm sei und dass er mit dem Aufbau der Stutenfarm hier im Schloss echte Pionierarbeit geleistet habe. Von der Problemzofe hier - er tätschelte Annes Hinterbacken -, die er so fabelhaft zurechtgebogen habe, wolle er gar nicht erst reden. Was er aber wirklich erstaunlich fände, sei, dass Ortega nach Florence und Anne nun schon die dritte Stute bei ihnen gekauft habe.
„Sie wissen ja, wie ich zu Ortega stehe, aber er ist nun einmal der allseits anerkannte Großmeister der Spezialausbildung. Wenn dieser Mann bei uns im Schloss auf Einkaufstour für seinen Stutenbestand geht, ist das ein Qualitätsbeweis allererster Güte“, schwärmte Abner. Er schaute auf die Uhr. „Gute Güte, die Delegation aus Saudi-Arabien trifft gleich ein. Es geht um das Schlichtungstreffen in New York zwischen uns und Ortega. Ich muss fort.“
Er sprang in seinen Wagen, aber bevor er die Tür schließen konnte, beugte sich Rockenbach noch einmal zu ihm.
„Wer ist es? Wen hat er gekauft?“, fragte er. Seine Stimme war fast tonlos.
„Ines heißt sie. Eine von den Dicken“, antwortete Abner, dann brauste er davon, und Rockenbach tat es ihm im nächsten Augenblick nach. Ohne sich im geringsten um Anne zu
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