Bärenmädchen (German Edition)
angewiesen, sich draußen vor der Tür des Schlafsaales wieder in Zweierreihen aufzustellen. Natürlich ging das nicht ohne die demütigende Kindergartennummer ab, dachte Anne. Sie mussten sich – diesmal stand Miriam neben ihr – wieder die Händchen geben. Anne wusste nicht warum, aber sie fand diese Prozedur besonders erniedrigend.
Trotzdem spürte sie, dass es ihr jetzt besser ging. Sie war ruhiger und weniger ängstlich. Vielleicht lag es einfach nur daran, dass sie einen halbwegs vollen Magen hatte. Aber da war noch mehr. Zwar blieben immer noch viele Fragen offen, darunter auch schrecklich beängstigende, aber nun wusste sie wenigstens, was in den nächsten Tagen mit ihnen geschehen würde. Ja, und dann gab es da noch eine andere Sache. Heiß und kalt war ihr geworden, als sich immer mehr gemeine und niederträchtige Vorschriften aneinanderreihten. Aber wenn sie ehrlich war, konnte sie nicht sagen, ob vor Zorn und Frustration oder doch aus einem anderen Grund. Irgendwie hatten sie all diese Ungeheuerlichkeiten – nicht nur das Keuschheitsgebot – ganz schön scharf gemacht. Voller Staunen spürte sie dem erregenden Kribbeln nach, dass sich beim Gedanken an all dies in ihr ausbreitete. Sie blickte zu Miriam herüber. Ob es ihr ebenso ging? Nachdenklich und in sich gekehrt schaute die Lehrerin drein.
Anne beschloss, ihr Schicksal fürs erste anzunehmen. Es war ein Abenteuer, in das sie hineingeschlittert war, ein monströses, bizarres Abenteuer, aber sie würde es durchstehen.
Dann marschierten sie, geführt von zweien der Engelsgesichter los. Es ging eine steinerne breite Treppe herunter in das Erdgeschoss und danach anscheinend quer durch das ganze Schloss. Von Innen wirkte es noch beeindruckender als von außen. Manche der Zimmerfluchten und Korridore, durch die sie kamen, strahlten eine derart kalte und ehrfurchtgebietende Pracht aus, dass Anne jetzt fast froh war, jemanden an der Hand zu halten. Von den Alphas, die ihnen begegneten, fand sie einige durchaus sympathisch und sogar gutaussehend. Bei anderen schauderte es sie, vor allem, wenn sie die Mädchen wie Frischfleisch anstarrten. Aber das waren sie ja wohl auch.
Sie dachte an gestern und daran, was ihr passiert war. Nach der Beschreibung der pausbäckigen Krankenschwester konnte es nur dieser neue Sicherheitschef gewesen sein. Immer noch sah sie ihn deutlich vor sich – mit seinen blauen Eisaugen, der verkrüppelten Hand und der scheußlichen Narbe, die sich vom Haaransatz an der Schläfe bis zum Kinn erstreckte. Der rabenschwarze, kurz geschnittene Vollbart hatte sie nur ansatzweise kaschiert. So hässlich wie die Schwester ihn beschrieben hatte, fand sie ihn allerdings trotzdem nicht. Nur, dass er ein mieses Arschloch war.
„Du bist jetzt in Sicherheit“, hatte er gesagt. Der Lügner. So sanft und warm hatte seine Stimme dabei geklungen. Man musste ihr einfach glauben, und dann hatte er ihr all dies Böse und Gemeine angetan. Es entsprach noch nicht einmal den Regeln der Organisation. Eigentlich durften sie als Zöglinge gar nicht angerührt werden. Das hatte die Krähe deutlich gesagt. Ob es ein Gericht gab, ein Tribunal der Organisation, vor dem sie ihn anklagen konnte? Im tiefsten Folterkeller des Schlosses sollte er verrotten. Wenn sie an ihn dachte, spürte sie keine Furcht, sondern nur Hass und Zorn.
In der Nacht, in den Zeiten, als sie wach lag, hatte sie ihn bei sich Räuberhauptmann genannt. Weil er aus dem Räuberwald aufgetaucht war. Weil Rockenbach ihn in diesem absurden Moment „Mon Colonel“ genannt hatte und weil er nun mal ein Verbrecher war. Hätte sie nur mit ihren Knüppel zugeschlagen. Er hätte genauso ein Loch im Kopf verdient wie der Bär.
Sie versuchte sich wieder auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Immer wieder erblickte sie auf Bildern, Türen, Möbeln und anderen Gegenständen das gekrönte smaragdgrüne M der Organisation. Wie reich und mächtig sie sein musste. Unfassbar luxuriös waren manche Räume ausgestattet. Die schweren englischen Stilmöbel überwogen dabei in fast allem Zimmern. Des Öfteren sah sie aber auch Gerätschaften und Vorrichtungen, von denen sie sich nicht allzu genau vorstellen mochte, wozu sie dienten.
Der Gegenstand, auf den sie einige Zeit später entsetzt starrte, ließ allerdings keine Zweifel offen. Es war ein Zapfen, der ihr aus dem Schritt eines seltsamen Kleidungsstückes entgegenragte. Je länger sie ihn betrachtete, desto dicker kam er ihr vor.
Es sei ein „Intelligenter
Weitere Kostenlose Bücher
Zehn Mal Fantastische Weihnachten. Zehn Online Lesen
von
Sandra Regnier
,
Teresa Sporrer
,
Jennifer Wolf
,
Cathy McAllister
,
Natalie Luca
,
Jennifer Jäger
,
Melanie Neupauer
,
Katjana May
,
Mara Lang
,
Lars Schütz
,
Pia Trzcinska