Baeuerin sucht Frau
Lenkrad herum, während ich um die letzte Ecke zum Bioladen in der Stadt biege. Ich fahre zum Anlieferungsbereich im Hinterhof durch die Tordurchfahrt, parke direkt an der Tür zum Lager, steige aus und gehe um den Lieferwagen herum. Geräuschvoll rolle ich die Ladetür zur Seite, packe die erste Gemüsekiste, ziehe sie zu mir heran. Da legt mir jemand von hinten eine Hand auf die Schulter. »Morgen, Sylvia.«
Ich drehe mich um. Es ist Karsten, der Inhaber des Ladens. »Kannst du bitte mal mit in mein Büro kommen?«
Ich lasse die Kiste los. »Klar. Was gibt es denn?«
Karsten geht schweigend voran. Mir wird mulmig im Bauch. Sein ernster Gesichtsausdruck verheißt nichts gutes. Als ich das Büro betrete und die Zeitung auf Karstens Schreibtisch sehe, weiß ich, dass mein Gefühl mich nicht getäuscht hat. Die aufgeschlagene Seite zeigt Wuttkes Konterfei, also klar welcher Artikel Karsten die gute Laune verdirbt. Er setzt sich mit Leichenbittermiene hinter den Schreibtisch, schiebt mir die Zeitung zu.
»Den Artikel kenne ich. Schöne Schweinerei«, sage ich.
»Allerdings.«
»Das ist ein ganz schlechter Scherz meines Nachbarn. Aber die Sache wird sich aufklären und dann ...«
»Sylvia, Stopp!«, unterbricht Karsten mich, steht auf, kommt um den Schreibtisch rum. »Ich glaube, du verstehst nicht. Bei mir ist Bio drin, wo Bio drauf steht. Dafür garantiere ich. Ich kann und will mich nicht dem Vorwurf aussetzen, Markenschwindel zu betreiben.«
»Natürlich nicht.«
»Du siehst es also ein?«
»Was?«
Karsten zögert noch eine halbe Sekunde. »Ich kann dir deine Waren nicht abnehmen«, eröffnet er mir dann.
Obwohl ich Schlimmes befürchtet habe, übertrifft das meine Erwartung. Ich starre Karsten an. Der fühlt sich sichtbar unwohl in seiner Haut.
»Es tut mir ehrlich leid.«
»Das kannst du doch nicht machen«, stammele ich.
»Sylvia, ich muss!«
»Meine Produkte sind in Ordnung! Das mit dem E605 ist ein ... ein Anschlag. Ich kann doch nichts dafür, dass dieser wahnsinnige Bauer es auf mich abgesehen hat!«
Karsten windet sich. »Was soll ich denn machen?« verteidigt er sich. »Viele meiner Kunden haben diesen Zeitungsartikel auch gelesen. Gerade unsere Kunden kaufen sehr bewusst. Und wie die Leute nun mal sind, der geringste Zweifel reicht aus und sie kaufen woanders. Das schadet nicht nur mir, sondern auch den anderen Zulieferern.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich habe keine Wahl. Ich musste alle deine Waren aus den Regalen nehmen.«
Irgendwo verstehe ich ihn ja. Aber für mich bedeutet es die Katastrophe schlechthin, meinen Hauptabnehmer zu verlieren.
»Versuch es doch bei anderen Läden, die einfach nur frische Ware anbieten, ohne Biosiegel«, versucht Karsten es mit einem gut gemeinten Rat. »Ich kenne da einen Gemüsehändler. Wenn du willst rufe ich ihn mal an.«
»Um ihm was anzubieten? Meine gute Ware zu einem Billigpreis? Nein, danke.«
Karsten hebt bedauernd die Hände. »Deine Entscheidung.«
So trete ich die Fahrt zurück zum Hof mit vollem Laderaum an.
Wenn ein Tag schon so bescheiden anfängt, warum soll er dann nicht besser werden?
Als ich nach Hause komme empfängt mich im Flur das Blinken des Anrufbeantworters. Wie schon die Tage zuvor, auch heute aufgeregte Kunden. Eine Schulküche kündigt kommentarlos die Liefervereinbarung. Mehrere Obstbaumpächter drücken ihre Unsicherheit aus. Dieselbe Stimmung in meinem E-Mail-Postfach.
Ich sitze vor meinem PC. Danke, Wuttke, kocht es in mir. Das war ganze Arbeit! Mit einem Schlag stehe ich nicht nur wirtschaftlich am Ende, sondern mein Ruf ist auch gründlich ruiniert. In Pleßnitz kriege ich jedenfalls kein Fuß mehr auf die Erde. Ich kann die Koffer packen. Es sei denn ich werde auf wundersame Weise rehabilitiert. Da wir hier aber in Pleßnitz sind und nicht im Paradies, glaube ich nicht daran. Im Moment ist also Antjes verrückter Plan tatsächlich meine einzige Chance.
Es ist kurz vor halb zehn. Erik hat sich schon vor einer Stunde in Richtung Dorfkrug verabschiedet. Antje radelte vor einer halben Stunde ohne große Vorankündigung nach Hause. Um sich umzuziehen, wie sie mir lediglich konspirativ zuraunte, bevor sie sich auf ihren Drahtesel schwang. Sie kommt gerade zurück. In einem bunten Sommerkleid! Ich schaue sie stirnrunzelnd an. »Ist das nicht ein bisschen auffällig?«
Antje grinst, geht an mir vorbei ins Haus. »Mach mal auf«, sagt sie im Flur zu mir und dreht mir den Rücken zu. Ich ziehe wie befohlen am
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