Bahama-Krise
nach
Süden. »Die See auf der Route nach Duncan Town ist voll von Riffen, da
wird sich Bayliss bei Nacht nicht ranwagen. Du kennst diese Typen
nicht, Tom, ich schon. Die fahren nicht mit Seekarte und Kompaß, immer
nur auf Sicht. Die glauben nur, was sie sehen.«
»Du könntest die Pinne übernehmen«, sagte ich.
»Da macht Bayliss nicht mit. Es ist sein Boot, und er hat
sicher Angst, daß es irgendwo aufläuft.«
»Wir sollten zumindest mit ihm sprechen und ihn fragen«,
schlug ich vor. »Gib ihm ein Zeichen, er soll herkommen.«
Sam ergriff erneut die Taschenlampe und gab eine Reihe von
Blinkzeichen, die vom Fischerboot beantwortet wurden. Dann war das
Blubbern des Motors zu hören. Bayliss' Boot glitt heran. Er hielt es
mit dem Bootshaken von uns ab. Ich sah, wie er Sam eine Leine zuwarf,
die dieser um einen Stieper wand und mit einem Knoten sicherte. Sam
stand über die Brüstung der Luke gelehnt, immer noch hielt er den
Lichtstrahl der Taschenlampe auf das Fischerboot gerichtet. »Mr. Mangan
möchte wissen, ob Sie uns jetzt nach Duncan Town bringen können?«
Bayliss verzog sein Gesicht zu einem Meer von Runzeln und
schaute zum nächtlichen Himmel hinauf. »Auf keinen Fall!« sagte er.
»Wenn Vollmond wäre, dann vielleicht. Aber so …«
Ich schaltete mich ein. »Sam könnte das Ruder übernehmen, er
kennt sich aus.«
Es war, wie Sam vorausgesagt hatte. Bayliss stellte sich stur.
»Ich habe nur dieses Boot, und ich kann es mir nicht leisten, das Boot
zu verlieren. Kommt nicht in Frage. Wir warten besser, bis es wieder
hell ist.«
Ich brachte noch ein paar Einwendungen und bot Geld, das den
Wert des Bootes überstieg. Aber es war nichts zu machen. »Also gut«,
sagte ich schließlich. »Dann laufen wir bei Sonnenaufgang aus.«
»Verdammter Mist!« sagte Sam. »Das Messer! Ich glaube, ich
hab' das Messer auf dem Kartentisch liegen lassen.« Er tauchte in die
Luke hinunter. »Paß auf, Tom!« schrie er. »Er kommt durch die vordere
Luke raus.«
Es war zu spät. Bevor ich noch den Schatten am anderen Ende
des Bootes erspähte, peitschte ein Schuß über Deck. Sam hatte mich mit
einer blitzschnellen Bewegung auf die Planken gedrückt. »Nichts wie
weg!« flüsterte er. Und er hatte recht. Es hatte keinen Sinn, sich in
ein Duell mit einem bewaffneten Killer zu begeben, der sein Boot kannte
wie seine Westentasche. Vorsichtig tastete ich mit den Füßen nach dem
Schaumgummisitz in der Plicht, dann sprang ich mit einem Satz über
Bord. Sam folgte mir. Ich sah noch, wie auf Deck eine Taschenlampe
aufblitzte und das Mündungsfeuer einer Pistole.
In diesem Augenblick dankte ich Pete Albury mit einem
Stoßgebet dafür, daß er mir das Tauchen beigebracht hatte. Es war in
den Riffen vor Abaco gewesen. Ich war noch ein Schuljunge, der im
Urlaub auf den Stammsitz der Familie zurückgeschickt wurde. Pete
Albury, unser schwarzer Diener, kümmerte sich um mich. Und natürlich
sah er darauf, daß ich schwimmen und tauchen lernte. Das Gerätetauchen
war damals noch wenig bekannt. Pete hatte für Flaschen und technisches
Brimborium ohnehin nur kalte Verachtung übrig. Unter seiner Obhut
lernte ich minutenlang unter Wasser zu bleiben und an den
Korallenbänken entlangzutauchen. Es war eine Fertigkeit, von der
Jahrzehnte später mein Leben abhängen sollte.
Ich holte Luft und tauchte weg. Zugleich streifte ich meine
Schuhe ab. Die Bewegungen wurden leichter. Ich schwamm in
unregelmäßigen Kreisen. Kurz bevor ich zum erstenmal auftauchte, hörte
ich, wie etwas Schweres ins Wasser plumpste. Was da ins Wasser gefallen
war, blieb ein Rätsel.
Vorsichtig tauchte ich wieder nach oben. Ich achtete darauf,
daß ich auf dem Rücken lag. Nur meine Nase und mein Mund ragten aus dem
Wasser heraus. Nachdem ich meine schmerzenden Lungen gefüllt hatte,
ging ich wieder auf Tiefe. Ich wußte, daß ich gute zwei Minuten unter
Wasser bleiben konnte. Insgesamt brachte ich drei solche Tauchgänge
hinter mich. Als ich nach dem dritten Mal auftauchte, vernahm ich das
Blubbern von Bayliss' Bootsmotor. Der Motor lief auf vollen Touren, das
Geräusch entfernte sich rasch. Dann war alles still. Ich lauschte,
jederzeit bereit, wieder unterzutauchen.
»Tom!« erklang ein leiser Ruf über das Wasser.
»Ich bin hier, Sam.«
»Ich glaube, er ist weg.«
Ich schwamm in die Richtung, wo ich Sam vermutete.
»In welche Richtung ist er gefahren?«
»Keine Ahnung, das konnte ich nicht sehen.«
Im düsteren Widerschein des Himmels sah ich Sam, der
Weitere Kostenlose Bücher