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Bahners, Patrick

Bahners, Patrick

Titel: Bahners, Patrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Panik-Macher
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Thyest
     
    Am Anfang stand keine Störung des Schulfriedens. Um das
Kopftuch Fereshta Ludins wurde ein Musterprozess geführt - im engeren wie im
weiteren Sinne. Der Rechtsstreit zwischen Frau Ludin und dem Land
Baden-Württemberg, den das Bundesverfassungsgericht mit dem Urteil des Zweiten
Senats vom 24. September 2003 entschied, hatte Folgen für jede kopftuchtragende
Lehrerin. Und für alle Muslime in Deutschland.
    Der Prozess war ein Streit ohne Anlass. Fereshta Ludin,
die 1972 in Kabul geboren wurde, seit 1987 in Deutschland lebt und seit 1995
Deutsche ist, hatte das Referendariat für das Lehramt an Grund- und
Hauptschulen absolviert und 1998 das Zweite Staatsexamen in den Fächern
Deutsch, Englisch und Gemeinschaftskunde bestanden. Das Oberschulamt Stuttgart
lehnte ihre Einstellung in den Schuldienst ab, weil sie nicht bereit war, im
Unterricht auf das Tragen ihres Kopftuchs zu verzichten. Die Ablehnung wurde
nicht mit dem Verhalten der Bewerberin im Vorbereitungsdienst begründet. Das
Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Urteil fest: «Die Befürchtung, dass
Konflikte mit Eltern auftreten könnten, welche die Unterrichtung ihrer Kinder
durch eine ein Kopftuch tragende Lehrerin ablehnen, kann sich nicht auf
Erfahrungen mit der bisherigen Lehrtätigkeit der Beschwerdeführerin als
Referendarin stützen.» Es hatte keine Vorfälle gegeben, die als Konflikte zwischen
zwei Rechtsansprüchen hätten interpretiert werden können, dem Recht der
Referendarin, der von ihr als unbedingt verpflichtend empfundenen
Bekleidungsregel ihres Glaubens zu folgen, und einem etwaigen Recht von Eltern,
ihren Kindern den Anblick einer so bekleideten Lehrerin zu ersparen. Als die
Schulbehörde Frau Ludin aufforderte, sich zum Ablegen des Kopftuchs im Klassenraum
zu verpflichten, wollte sie nicht die Wiederholung aktenkundig gewordener
Beeinträchtigungen des Unterrichts vermeiden. Vielmehr sollte der bloßen
Möglichkeit der Einschüchterung der Schüler vorgebeugt werden.
    Bevor der Fall nach Karlsruhe gelangte, hatten drei
Gerichte Urteile gefällt: das Verwaltungsgericht Stuttgart, der badenwürttembergische
Verwaltungsgerichtshof in Mannheim und das Bundesverwaltungsgericht in
Leipzig. Der Verwaltungsgerichtshof, der Fereshta Ludins Klage auf Einstellung
in zweiter Instanz verwarf, berief sich auf die «Lebenserfahrung», nach der
religiös bedingte Konflikte im Klassenzimmer einer kopftuchtragenden Lehrerin
absehbar seien. Doch worin sollte diese Erfahrung bestehen, wenn Lehrerinnen
mit Kopfbedeckung jedenfalls in Baden-Württemberg nicht zum Schulleben
gehörten? Genauer muss man von muslimischen Lehrerinnen sprechen. An der
Klosterschule Lichtental, einer staatlichen Grundschule in Baden-Baden,
unterrichten seit zweihundert Jahren Nonnen des weißen Ordens der
Zisterzienserinnen nicht nur Religion, sondern alle Fächer. Sie tragen auch in
der Klasse ihre Ordenstracht, das weiße Gewand mit der schwarzen Schürze und
dem das Haar verbergenden Schleier, und sind in der Regel Beamtinnen. 2008
hatte sich der Verwaltungsgerichtshof noch einmal mit dem Kopftuch zu
befassen, weil eine Hauptschullehrerin, die 1984 zum Islam konvertiert war, das
inzwischen erlassene gesetzliche Kopftuchverbot angriff. Die Richter wiesen
die Rüge einer Ungleichbehandlung von Nonnen und Musliminnen zurück, indem sie
die Klosterschule Lichtental als «historisch bedingten Ausnahmefall auf einer
einmaligen sondervertraglichen Grundlage» beschrieben. Nach dem Karlsruher
Urteil war die Lichtentaler Schulleiterin von Journalisten befragt worden.
Ihre Schule ist Pflichtgrundschule für einen Schulbezirk von 7000 Einwohnern.
In neunzehn Jahren hatte sich ein einziges Mal ein Vater über die Ordenstracht
beschwert.
    Als die Mannheimer Richter 2001 einer Berufsanfängerin
unter Verweis auf einen diffusen Lebenserfahrungswert den Eintritt ins Berufsleben
verweigerten, hatte der Anwalt von Frau Ludin schon auf die Klägerin des
späteren Verfahrens hingewiesen, die seit 1995 in Bad Cannstatt mit Kopftuch
unterrichtete, ohne religiös bedingte Konflikte ausgelöst zu haben. Ebenso war
das Bundesverfassungsgericht darüber unterrichtet, dass zum Zeitpunkt seiner
Verhandlung in der Sache Ludin etwa zwanzig Kopftuchträgerinnen im Schuldienst
des Landes Nordrhein-Westfalen beschäftigt waren. In Oscar Wildes Stück «The
Importance of Being Earnest» eröffnet Lady Bracknell einem vermeintlichen
Waisenknaben, warum er ihr suspekt ist: «Ein Elternteil zu

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