Bahners, Patrick
2010 Vizepräsident des
Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzender des 1. Senats, war als Berater der
Regierung Teufel maßgeblich an der Ausarbeitung des badenwürttembergischen Gesetzes
beteiligt, das die Gleichbehandlungspflicht aushebelt. Das Gesetz verbietet
Lehrkräften an öffentlichen Schulen «äußere Bekundungen, die geeignet sind,
die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern oder den politischen,
religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören».
Die Ausnahme zugunsten christlicher und jüdischer Symbole verbirgt sich in der
Feststellung, die «Wahrnehmung des Erziehungsauftrags» der Landesverfassung
und «die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs-
und Kulturwerte oder Traditionen» widerspreche diesem Verhaltensgebot nicht.
Nebenbei hat dieses im Landtag mit den Stimmen der SPD-Opposition
verabschiedete Gesetz also bestimmt: Wenn doch einmal ein muslimischer oder
atheistischer Schüler sich durch das Kruzifix am Revers eines Lehrers bedrängt
sieht, der vielleicht auch Poster von Papst Benedikt XVI. und der Muttergottes
von Fatima aufgehängt hat, dann ist der Schüler der Friedensstörer.
Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass
nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts mit der Darstellung christlicher
Traditionen nur die Darstellung im Unterricht gemeint sein kann, nicht die
Darstellung durch Symbole am Lehrerkörper. Das Land ist aber keineswegs bereit,
seine Praxis dieser rettenden Lesart seines Gesetzes anzupassen. Dabei hatten
auch die Zisterzienserinnen von Lichtental wissen lassen, dass sie ihren Habit
nicht mit der Theologin Schavan als Berufskleidung oder mit dem Gesetz als
Werbung für abendländische Kulturwerte (inklusive der Sexualaufklärung?) verstanden
sehen wollten. Die Alimentation der verbeamteten Nonnen von Lichtenthai hätte
man im Zweifelsfall mit dem Verwaltungsgerichtshof als historische Ausnahme
rechtfertigen können. Die Säkularisation, verstanden rechtshistorisch präzise
als Entflechtung von kirchlichen und staatlichen Rechten, hat punktuelle
Verflechtungen ausnahmsweise bestehen lassen, wo die Staatsgewalt die Kirche
enteignet hat, die Kirche aber Leistungen erbringt, für die der Staat sie
entschädigt. An der Abtei Lichtenthai lässt sich im Geschichtsunterricht schön
studieren, wie sich das Christentum nach dem Ende des konfessionellen Staates
als gesellschaftliche Potenz und Kulturträger neu zu definieren hatte, wie
geistliche Gemeinschaften einer antikirchlichen Politik trotzten, die ein dem
Gottesdienst geweihtes Leben für asozial hielt, und welche rechtlichen Formen
der Kooperation mit dem Staat gefunden wurden.
Die neue Bekenntnisschule
Als die Landespolitiker die chimärische Gefahr der
gottlosen Schule beschworen, ging es ihnen nicht um Nonnenschürze und Jesuslatschen,
sondern um ganz andere Symbole, die in keinem Ritualbuch verzeichnet sind,
denen sie aber magische Kraft zuschreiben: um ihre eigenen Worte, in Reden und
Gesetzen. Sie legten in heiligem Wetteifer Bekenntnisse ab, zum Christentum,
zum Abendland, zu den Menschenrechten, und erwarteten von den Lehrern, diese
Bekenntnisse nachzubeten oder pantomimisch zur Darstellung zu bringen. Ein
Schlüsselwort der Landtagsdebatten war die Beliebigkeit. Mit diesem Wort ließen
sich Sätze bilden, die nie auf Widerspruch stießen und dennoch dauernd
wiederholt wurden. Neutralität ist keine Beliebigkeit! Wie kann man die Absage
an die Beliebigkeit, die Aussage, dass es überhaupt Kriterien gibt, schon für
einen Beitrag zur moralischen Orientierung halten? Es hilft wohl, wenn man von
Beruf Politiker ist, also verbindliche Entscheidungen produziert, die jederzeit
auch anders ausfallen können.
Das Gegenteil der Beliebigkeit sind die Werte. Die
kopftuchfreie Schule soll ein Ort der von Werten geleiteten, auf Werte
gegründeten Erziehung sein. In der staatsinternen Kommunikation des Gesetzgebers
mit den Gerichten zeigen die «Kulturwerte» eine niedrige Verbindlichkeit an.
Wenn das Land eine Lehrerin mit Kreuz um den Hals unterrichten lässt, verkündet
es den Schülern nicht, dass Gott für die Sünden der Menschen seinen Sohn
geopfert hat. Das Kreuz ist hier nur ein Zeichen für die Abschaffung der
Sklaverei, Bachs Johannespassion oder andere besonders wertvolle kulturelle
Leistungen, die man mit dem Christentum assoziiert. Nach außen, gegenüber dem
Volk, werden die Werte dagegen als das Höchste
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