Bahners, Patrick
«Pädagogin fordert
Burka-Verbot in Deutschland», da Pädagogen ja schon im Klassenzimmer selten
Gehör finden für ihre Forderungen, zumal vor einem Publikum mit hohem
Migrantenanteil. Tatsächlich kommt es aber für den Expertenstatus, den sich
Neda Kelek erarbeitet hat, allenfalls noch auf das Faktum der akademischen
Qualifikation an, nicht mehr auf die Fachrichtung. So muss auch den Abnehmer
der Ansichten von Matthias Horx nicht interessieren, in welchem institutionellen
Rahmen der als Trendforscher etablierte Universalexperte seine Forschungen
betreibt. Und wie die Germanistin Gertrud Höhler in der Öffentlichkeit
zeitweise so gefragt war, dass sie ihre Paderborner Professur aufgeben konnte,
so hat Neda Kelek nach dem Auslaufen ihres Lehrauftrags an der Evangelischen
Fachhochschule für Sozialpädagogik in Hamburg ihre akademische Karriere nicht
weiterverfolgt. Als sie für das Akademische Jahr 2006/07 die
Mercator-Professur der Universität Duisburg-Essen berufen wurde, bedeutete das
keine Rückkehr in die Niederungen des gewöhnlichen Lehrbetriebs, sondern den
Aufstieg in die wolkigen Höhen einer Großprominenz, die nicht Wissen, sondern
Weisheiten unter die Leute bringt. In der Liste der Lehrstuhlinhaber, die sich
satzungsgemäß durch «Weltoffenheit und Weitblick für die wichtigen Zeitfragen»
ausgezeichnet haben, steht Neda Kelek zwischen Richard von Weizsäcker und Peter
Schöll-Latour.
In den Massenmedien, die den Konsumenten ununterbrochen
Neuigkeiten zumuten, kommt bekannten Experten eine entlastende Funktion zu.
Man erwartet von ihnen, dass sie ihre bekannten Meinungen wiederholen. Auch in
Franken liest man «Die Welt» oder die F.A.Z. Neugier kann die Redakteurin der
«Nürnberger Zeitung» also nicht umgetrieben haben, die im Mai 2010 von Neda
Kelek wissen wollte: «Wie viel Verhüllung halten wir aus?» Frau Keleks
Kompetenz für Fragen dieser Art ergibt sich nicht aus ihrem Fachwissen oder
ihrer Routine in der Anwendung der Methodik der Soziologie oder Pädagogik. Wie
viel Verhüllung in der Schlange beim Bäcker halten wir aus, wie viel
Geschlechtertrennung im Schwimmunterricht, wie viele Dönerbuden ohne
Alkoholausschank? Das sind die Leitfragen «unserer» Islamdiskussion. Dabei
wird das «Wir» schon durch die Formulierung der Fragen so definiert, dass
Kopftuchmädchen und ihre Eltern vorsorglich erst einmal aussortiert werden.
Neda Kelek trägt kein Kopftuch. Es ist also keine Zudringlichkeit, wenn «wir»
sie fragen, wie viele Verschleierte wir aushalten.
Auf die Professionalität der Schlagzeilenmacher der
«Bild»-Zeitung ist Verlass. Am Tag nach der Rede von Bundespräsident Wulff zum
Tag der Deutschen Einheit fassten sie den ganzen Katechismus des Islampalavers
in einer einzigen Frage zusammen: «Wie viel Islam verträgt Deutschland?»
Andere Leitmedien, etwa das ZDF mit dem Moderator Peter Hahne, der sich als
Streiter für christliche Werte hervorgetan hat, übernahmen die Formulierung
wörtlich. Mit der Frage übernimmt man ihre Prämisse: Zu viel Islam ist
ungesund. Die Schicksalsfragesteller verstehen sich als Verfassungspatrioten.
Aber denken sie sich Deutschland wirklich als Republik, die sich durch
freiwillige Zustimmung aller Bürger täglich neu konstituiert? Sie stellen sich
Deutschland jedenfalls anders vor, als Organismus, um dessen volkskörpereigene
Ab Wehrkräfte man sich Sorgen machen muss. Unser Land hat vielleicht schon viel
mehr Muslimisches zu sich genommen, als gut für uns ist, wie Schadstoffe in der
Tiefkühlkost. Was man gerade noch vertragen kann, das sollte man dann
vielleicht bis auf weiteres auch ertragen. So weit ist die Toleranz schon
heruntergekommen: keine Tugend mehr und kein Ideal, sondern bestenfalls noch
ein Indiz für die Robustheit der Mehrheitsgesellschaft, für die Widerstandskraft
des Aufnahmevolkes.
Eine deutsche Ayaan Hirsi Ali
Den Verdacht der Unverträglichkeit haben Fallgeschichten
genährt, die von der Unerträglichkeit eines Lebens nach islamischen Geboten
handeln. Pathologisches Denken beherrscht das Feld der Islamdiskussion. Die
Sozialschädlichkeit muslimischer Normen gilt als erwiesen durch die
Überlebensberichte der populären Sachliteratur. Ein großes Publikum glaubt, in
diesen Erfahrungsberichten das sicherste Wissen über den Islam zu finden. Denn
im Unterschied zu Statistiken, Regierungserklärungen und Worten zum Sonntag
oder Freitag können sie ja nicht beschönigt sein. Die hierzulande
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