Ball der Vampire
dass sie noch viel weniger ein Mensch war, als ich vermutet hatte. Doch sie bewegte sich nicht wie ein Werwolf oder wie andere Gestaltwandler, etwa die Werpanther. Ihr Körper drehte und wand sich in einer Art und Weise, die nicht mehr einem Säugetier entsprach.
Mr Cataliades sah ihr zu, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Er schwieg, und so tat ich es auch. Die junge Frau schoss auf dem ganzen Grundstück von hier nach dort, wie ein durchgedrehtes Reptil, und vibrierte geradezu sichtbar von innen heraus von einer unheimlichen Energie.
Trotz all der Bewegung konnte ich nicht hören, dass sie auch nur das kleinste Geräusch verursachte.
Es dauerte nicht lange, da hielt sie vor den dichten Sträuchern am Rand des Waldes inne. Ganz still verharrte sie davor und starrte den Erdboden an. Dann hob sie, noch immer ohne aufzusehen und wie ein Schulmädchen, das die richtige Antwort weiß, eine Hand.
»Gehen wir mal nachsehen«, schlug Mr Cataliades vor und überquerte entschlossen die Auffahrt, dann den Rasen und ging bis an den Wald zu den Wachsmyrtensträuchern. Diantha sah nicht auf, als wir uns näherten, sondern fixierte weiterhin etwas, das auf dem Boden hinter den Sträuchern lag. Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Ich holte tief Luft und sah mir an, was dort lag.
Dieses Mädchen war noch jünger gewesen als Diantha, aber genauso schlank und zierlich. Sie hatte die Haare goldgelb gefärbt, was einen seltsamen Kontrast zu ihrer milchschokoladenbraunen Haut bildete. Ihre Lippen hatten sich im Tod zurückgezogen, so dass es aussah, als würde sie die Zähne fletschen, die genauso scharf und weiß wie Dianthas waren. Seltsamerweise wirkte sie gar nicht so arg mitgenommen, wie ich erwartet hätte, da sie ja bereits seit einigen Tagen hier draußen lag. Nur ein paar Ameisen krochen über sie hinweg, nirgends ein Anzeichen des üblichen gefräßigen Getiers ... und sie sah wirklich nicht übel aus für jemanden, dessen Körper in zwei Hälften zerhauen worden war.
Eine Minute lang dröhnte es in meinem Kopf, und ich fürchtete schon, dass ich in die Knie gehen würde. Ich hatte bereits einige furchtbare Sachen gesehen, darunter zwei richtiggehende Massaker, aber noch nie jemanden, der so in zwei Hälften zerteilt war wie dieses Mädchen. Ich konnte ihre Eingeweide erkennen, sie sahen nicht wie menschliche Eingeweide aus. Und anscheinend waren die beiden Hälften jede für sich irgendwie versiegelt, denn es war nur sehr wenig Blut geflossen.
»Zerteilt mit einem Stahlschwert«, sagte Mr Cataliades. »Mit einem sehr guten Schwert.«
»Was sollen wir mit ihren sterblichen Überresten machen?«, fragte ich. »Ich kann eine alte Decke holen.« Ohne zu fragen, wusste ich, dass wir natürlich nicht die Polizei rufen würden.
»Wir müssen sie verbrennen«, sagte Mr Cataliades. »Dort drüben, auf dem Kiesgrund Ihres Parkplatzes, Miss Stackhouse. Das wäre am sichersten. Sie erwarten doch keinen Besuch?«
»Nein«, erwiderte ich, in vielerlei Hinsicht schockiert. »Entschuldigung, aber warum muss sie denn ... verbrannt werden?«
»Kein Lebewesen frisst einen Dämon, nicht mal einen Halbdämon wie Gladiola oder Diantha«, sagte er so sachlich, als würde er mir erklären, dass die Sonne im Osten aufgeht. »Nicht mal die Ameisen, wie Sie sehen. Der Erdboden wird sie nicht verschlingen, wie er es mit den Menschen macht.«
»Sie wollen sie nicht mit nach Hause nehmen? Zu ihrer Familie?«
»Diantha und ich sind ihre Familie. Bei uns ist es nicht Brauch, die Toten dorthin zurückzubringen, wo sie gewohnt haben.«
»Und was hat sie getötet?«
Mr Cataliades hob eine Augenbraue.
»Nein, nein. Natürlich hat dieser Hieb durch den Leib sie getötet, das sehe ich auch! Aber was hat das Schwert geführt?«
»Was glaubst du, Diantha?«, fragte Mr Cataliades, als würde er eine Schülerin abhören.
»Was sehr, sehr Starkes und Heimtückisches«, sagte Diantha. »Es ist nah an Gladiola rangekommen, und sie war echt nicht blöd. Wir sind nicht so leicht totzukriegen.«
»Ich sehe den Brief, den sie bei sich hatte, nirgends.« Mr Cataliades beugte sich vor und spähte über die Sträucher. Dann richtete er sich wieder auf. »Haben Sie Brennholz, Miss Stackhouse?«
»Ja, hinter dem Geräteschuppen sind noch genug Eichenholzscheite aufgestapelt.« Jason hatte nach dem letzten Eissturm einige Bäume fällen müssen.
»Müssen Sie nicht noch packen, meine Liebe?«
»Ja«, sagte ich, fast zu überwältigt, um zu antworten.
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