Balla Balla
aus diesem Pisskaff und endlich dieser Einöde und Beschränktheit entfliehen. Es kam dann tatsächlich fürs Erste, wie es selten kam. Im Dorfclub, bei den Sportfreunden Dorfmerkingen saß ein Scout vom VfR Aalen und glaubte, in dem jungen Plotek einen kleinen Paul Breitner zu sehen. Und schon war er zwanzig Kilometer weiter und drei Ligen höher. Und auch da saß auf den Rängen ein Scout, jetzt vom VfB Stuttgart und dessen Augen blieben abermals an Plotek hängen, seinem Spielwitz, der Torgefährlichkeit und der Schnelligkeit. Und schon ging es 100 Kilometer weiter und ganz nach oben in der Liga: VfB Stuttgart, A-Jugend mit Aussicht auf die erste Mannschaft, Bundesliga. Und dann war der Traum auch schon vorbei. Es war aber keine Blutgrätsche, sondern der elterliche Traktor, der Plotek über die Schenkel fuhr. Von da an fand für Plotek Fußball nur noch im Fernsehen statt.
»Du kannst in Ritschis Zimmer wohnen«, sagte Maike, wieder im Wohnzimmer zurück. »Komm, ich zeig’s dir.«
Sie nahm Plotek an der Hand und zog ihn wie einen Hund weg von seinen Erinnerungen und hinter sich her aus dem Wohnzimmer.
»Bis später«, rief ihm Wenny nach.
»Ja«, sagte Plotek.
»Arschloch«, krächzte der Papagei.
Ritschis Zimmer im ersten Stock sah aus, als ob Ritschi gerade auf dem Klo wäre und gleich wiederkommen würde.
»Wo ist denn Ritschi?«, fragte Plotek und fühlte sich ein wenig unwohl im komplett eingerichteten Zimmer eines anderen. Am unwohlsten wurde es ihm aber, als er die Bettdecke sah, das Kopfkissen. Das war Bettwäsche vom FC Bayern München. Da kann ich nicht schlafen und wenn, dann habe ich Alpträume, dachte Plotek. Auch Maike wirkte, als würde sie sich nicht ganz wohlfühlen. Ob es auch die Bettwäsche war oder vielmehr die Frage, die noch immer wie eine aufgeknöpfte Betschwester unter der Zimmerdecke hing – wer weiß? Plotek wusste es nicht. Auf jeden Fall schien Maike irgendwie nicht darüber reden zu wollen und machte keine Anstalten, Ploteks Frage zu beantworten. Sie zeigte auf ein Foto, das an der Wand neben dem Bett hing.
»Das ist Ritschi.«
Ihr schmaler, schöner Finger ruhte auf einem schmächtigen Jungen.
»Und das ist Ivo, das Benny und Jo«, fuhr sie fort und tippte dabei auf pausbackige, junge Männer in kurzen Hosen. Plotek strich in Gedanken Ivo und Jo schon mit einem dicken, schwarzen Filzer durch. Und über die fünfte Person malte er ein hauchdünnes Fragezeichen. Das war Wenny, der die Arme um zwei der Kicker gelegt hatte und so aussah, als würde er auf einem orientalischen Markt seine frische Ware präsentieren.
»Die vier waren sich sehr ähnlich und zusammen unschlagbar«, erklärte Maike, »und Wenny war so eine Art Vaterersatz. Er war immer für sie da, wenn sie ihn brauchten. Ich glaube, das war das Geheimnis ihres Erfolgs. Diese Aufmerksamkeit, diese Zuneigung, dieser Zusammenhalt.«
Das klang wehmütig. Und während Maike noch immer über das Foto strich, als hätte sie eine intime Beziehung zu den Spielern, hatte Plotek noch ein weiteres entdeckt, auf dem Ritschi und eine Frau abgebildet waren.
»Ist das nicht die Schwester?«, fragte Plotek überrascht.
»Ja, das ist die Schwester von Ritschi«, antwortete Maike und ihr Finger strich über die Frau, als hätte sie auch ein intimes Verhältnis mit ihr.
»Die Schwester vom Krankenhaus?«, fügte Plotek fragend hinzu.
»Genau.«
Komisch, dachte Plotek, ist das jetzt Zufall oder hat hier alles irgendwie miteinander zu tun. Die Weltstadt als Kuhdorf oder: Wenn der eine den anderen kennt, kennt er alle.
»Na ja, um genau zu sein, ist Sieglinde die Halbschwester von Ritschi. Gleiche Mutter, verschiedene Väter, verstehst du?«
Nicken von Plotek, obwohl von Verstehen überhaupt keine Rede sein konnte.
Auf einem Bord über dem Bett standen silberne Pokale in allen Größen, an der Wand hingen gerahmte Urkunden, Plotek sah sich noch einmal das Mannschaftsbild mit Ivo, Jo, Benny, Ritschi und Wenny an. Fünf Personen, dachte er, Jo und Ivo sind tot, Wenny liegt ziemlich malad unten auf dem Sofa und Benny ist in der Reha. Und Ritschi?
»Wo ist eigentlich Ritschi?«, fragte Plotek noch einmal und Maike sah noch immer nicht so aus, als ob sie ihm eine Erklärung liefern wollte. Egal, dachte er, das finde ich auch ohne sie heraus. Und das tat er auch. Aber bis dahin sollte noch das eine oder andere Weißbier seine Kehle hinunterrauschen.
12
Seit einer Stunde saßen Plotek und Maike jetzt schon bei einem
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