Ballade der Leidenschaft
erreichte mit ihrem Gehilfen den Markplatz. Zu dieser frühen Stunde zeigten sich nur wenige Leute. Von Anton unterstützt, verfrachtete sie die Stoffballen auf ihren langen, auf Böcke gestellten Tisch.
„Vielen Dank, Anton.“
„Gern geschehen, Madame. War das alles?“
„Braucht dich Mark?“
„Ja, seine Waren sind die nächsten, die ich herunterbringe.“
„Dann geh nur …“ Rozenn bemerkte seinen erwartungsvollen Blick und biss sich auf die Lippen. „Oh, Anton, verzeih mir, ich habe noch kein Kleingeld. Macht es dir etwas aus, wenn ich dich erst am Ende des Tages bezahle?“
Der Junge berührte ihren Arm. „Bezahlt mich, wann immer Ihr wollt, Madame Rozenn. Ich vertraue Euch.“
„Wie nett von dir, Anton …“ Rozenn spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten. „Mit so freundlichen Worten beginnt der Tag doch gleich viel angenehmer.“
Grinsend nickte er ihr zu, umfasste die Griffe seines Karrens und schob ihn zur Festung und zur Pont du Port zurück.
Noch immer erschollen die Kirchenglocken. Um sie herum bereiteten einige andere Verkäufer ihre Marktstände vor. Wie ein weißer Lichtpfeil flatterte eine Möwe vorbei und landete ungeschickt auf dem Tisch, den der Metzger gerade beladen wollte.
Auf der Festungstreppe stieg eine kleine Prozession herab, angeführt von Comtesse Muriel. Hinter ihr leuchteten die Röcke ihrer Damen in jenen intensiven Farben, die sich nur die reichen Leute leisten konnten – kostbares Leinen, in Paris leuchtend rot veredelt, violette Seiden und Satins aus dem Orient. Anmutig schritten sie zur Kirche Sainte-Croix, um gemeinsam mit den Mönchen zu beten.
Als Rozenn ein leises Kichern hörte, runzelte sie die Stirn. Ein blondes Löckchen lugte unter einem hauchdünnen Schleier hervor, und ihr Magen verkrampfte sich: Auch Lady Alis befand sich unter den Damen.
Zwei fremde Männer bildeten die Nachhut – nein, eigentlich keine Fremden; hatte sie den einen nicht am Vortag im Burghof gesehen? Dieses dichte, ungewöhnlich lange rote Haar, die spitze Hakennase … Tatsächlich, er war ihr bereits aufgefallen.
Gerade wollte sie sich wieder ihrem Marktstand zuwenden, da stieg noch jemand die Stufen herab – ein gut aussehender dunkelhaariger Mann in einer modischen grünen Tunika, die seine breiten Schultern betonte. Seine silberne Gürtelschnalle funkelte im Morgensonnenschein. Sofort setzte ihr Herz einen Schlag aus. Ben!
Vom großen Tor der Abteikirche wehte weibliches Gelächter herüber. War es absichtlich so laut, dass es bis zur Festungstreppe drang?
Rozenn knirschte mit den Zähnen, denn Ben wandte – sie hatte es ja geahnt – sofort den Kopf in die Richtung, aus der das Gelächter erklang. Die Stirn gerunzelt, ging er ebenfalls zur Abteikirche.
Besuchte er tatsächlich gemeinsam mit der Gräfin und ihren Damen die Morgenmesse?
Rozenns Kehle schien wie zugeschnürt.
Ben und Alis. Aha. Also brauchte sie nicht zu befürchten, er hätte die Nacht in einer feuchtkalten Ecke der Schlosshalle verbracht.
Oder sich darüber Gedanken zu machen, der Kuss auf dem Steg könnte bedeuten, dass Ben mehr als Freundschaft wollte … Eins hatte sie wohl vergessen – das war Benedict, der fahrende Sänger und Freigeist, der sich an nichts und niemanden band. Natürlich abgesehen von seiner Musik. Bald würde er wieder weiterziehen, so wie immer, und eine schluchzende Lady Alis zurücklassen. Beinahe bemitleidete Rose die Arme. War das Mädchen nicht mit irgendeinem Ritter verlobt?
Entschlossen kehrte Rozenn der Kirchentreppe, die Ben gerade hinaufrannte und dabei immer zwei Stufen auf einmal nahm, den Rücken. Sie starrte ihren Marktstand an, dann zwang sie sich zu überlegen, wie sie die Stoffe am besten präsentierte. Ganz vorn musste die gestreifte byzantinische Seide liegen. Zur Linken der rote Samt, auf der rechten Seite der grüne Damast … In ihrem Innern tobte ein Aufruhr, ihr Herz schmerzte. Mühsam zügelte sie ihre heftigen Gefühle. Hinter den prachtvollen Stoffen würde sie die schlichten Leinenballen arrangieren; und die Satinbänder …
Allmählich füllte sich der Marktplatz mit Händlern, Kunden und Neugierigen. Aber Rozenn war nicht zu beschäftigt, um zu übersehen, wie Comtesse Muriel mit ihrem Gefolge die Kirche Sainte-Croix verließ. Auch Lady Alis und der rothaarige Fremde entgingen ihrer Aufmerksamkeit keineswegs. Und Ben? Nicht dass sie nach ihm Ausschau halten würde. Nur rein zufällig beobachtete sie die Bauarbeiter, die sich auf
Weitere Kostenlose Bücher