Ballade der Leidenschaft
ihr Bestes taten, um die Aufmerksamkeit des verführerischen Sängers zu erregen …
Schmerzhaft biss sie sich auf den Finger. Bereute Ben den Kuss? Kam er deshalb so spät in ihr Haus zurück? Weil er ihr nicht begegnen wollte?
Hatte er beschlossen, woanders zu schlafen? Wenn ja, würde sie das gern wissen. Gerne würde sie die Tür verriegeln, aber dann könnte er sie mit seinem Schlüssel nicht mehr öffnen. Diese Sorge raubte Rozenn den Schlaf. Falls er doch noch zurückkam, wollte sie ihn nicht aussperren.
Sie wandte den Kopf zur Seite. Durch das Halbdunkel spähte sie in Richtung Gasse. Das Gejaule der Betrunkenen verhallte. Vielleicht suchten sie den „Weißen Vogel“ auf, um sich einen Schlummertrunk zu gönnen.
In der Feuerglut knisterten die fast heruntergebrannten Holzscheite. Sie drehte sich auf die Seite und sehnte den Schlaf herbei. Die halbe Nacht auf Ben zu warten, war gewiss sinnlos. Wahrscheinlich feierte er seinen Sieg bis zum Morgengrauen und ließ noch ein paar Fässer anzapfen. Mit wem vergnügte er sich? Mit ein paar Kumpanen? Oder … Gegen ihren Willen stieg Lady Alis’ Bild in ihr auf, hübsche blaue Augen, glänzendes blondes Haar. Rozenn schnitt eine Grimasse. Bitte, lieber Gott, lass ihn nicht bei Alis sein …
Wie üblich, bevor sie einschlummerte, wollte sie an Sir Richard of Asculf denken, an seine Freundlichkeit, das goldene Kreuz, das er ihr geschenkt hatte. Und sie würde sich entsinnen, wie groß und stark er war.
Aber trotz ihrer guten Vorsätze galt ihr letzter wacher Gedanke einem schwarzhaarigen Lautenspieler, der romantische Liebeslieder sang. Und so unglaublich es auch anmuten mochte, der Blick seiner sanften Augen suchte sie, Rose – nur sie allein.
Für einen Kuss von dir würde ich nach England schwimmen.
Welch ein unverbesserlicher Verführer …
5. KAPITEL
A ls Rozenn am nächsten Morgen erwachte, drang Licht durch die Ritzen der Fensterläden ins Zimmer und verriet ihr, die Sonne war bereits aufgegangen. Ben ließ sich nicht blicken, die Pritsche wirkte unberührt. Anscheinend hatte er nicht hier geschlafen. Wie auch immer, sie musste sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Entschlossen verdrängte sie die Frage, wo er die Nacht verbracht haben mochte – und in wessen Armen –, und schlüpfte hastig in ihre Kleider.
An diesem Markttag wollte sie möglichst viel von Pers Lagerbeständen verkaufen, und nichts würde sie davon ablenken.
Nachdem sie gefrühstückt und die Stoffballen vor der Ladentür aufgestapelt hatte, erschien Anton mit seinem Handkarren.
„Guten Morgen, Madame.“ Er zeigte auf die schwereren Ballen. „Diese zuerst?“
„Ja, bitte.“
Rozenn half ihm, den Karren zu beladen. Auf dem Weg den Hang hinab zur Pont du Port hielt sie stets eine Hand auf den Stoffballen, damit sie nicht vom Wagen fielen.
An der Zugbrücke hielt Hauptmann Denez wieder Wache. „Guten Morgen, Madame Rozenn!“ Bei ihrem Anblick erhellte sich seine sonst so mürrische Miene. „Seid Ihr heute Morgen nicht mit Ben zusammen?“
Forschend musterte sie ihn, entdeckte aber keine Bosheit in seinen Augen. Erleichtert, weil ihr diesmal keine verräterische Röte in die Wangen stieg, antwortete sie: „Ben und ich sind Freunde, Denez. Mehr nicht.“
„Ja, Madame, wenn Ihr das sagt …“ Jetzt zuckten seine Mundwinkel. Rozenn vermutete, er unterdrückte ein Grinsen und glaubte ihr kein Wort. Sekundenlang glaubte sie wieder das Echo des grölenden Jubelgelächters zu hören, das die Soldaten angesichts des Kusses auf dem Anlegesteg ausgestoßen hatten.
Das Kinn hochgereckt, wies sie Anton an, den Karren weiterzuziehen, und die Räder ratterten an ihrer Seite über die Brücke. Durch das Tor in der äußeren Burgmauer betraten die beiden den Vorhof.
Der Markt wurde auf einem kleinen, mit Kopfsteinen gepflasterten Platz zwischen der Abteikirche Sainte-Croix und Graf Remonds Festung abgehalten. Hinter dem Gotteshaus erstreckte sich das restliche Basseville, der Teil der Insel, wo die gewöhnliche Stadtbevölkerung wohnte. Eindrucksvoll ragte die Burg empor. Das Fenster des Sonnengemachs, fast an der höchsten Stelle, sah man nur, wenn man den Kopf in den Nacken legte.
Als Rozenn und Anton um die Ecke bogen, läuteten die Glocken von Sainte-Croix und riefen die Mönche zur Morgenmesse. Die Abteikirche befand sich immer noch im Bau und war von Holzgerüsten umgeben. Aber Abt Benoît bestand auf einem geregelten Ablauf aller Gottesdienste.
Rozenn
Weitere Kostenlose Bücher