Ballade der Leidenschaft
verzerrten Lippen zu schließen, beobachtete er die beiden. Küssten sie sich? Nun, es ging Rozenn nichts an. Eisige Kälte erfasste ihr Herz. So gleichmütig, wie sie es vermochte, zuckte sie mit den Schultern. „Ja, Sir Richard bat mich, seine Frau zu werden. Es tut mir sehr leid, Mark.“
Was bedeutete dieses Eis in ihrer Brust? Liebte sie Sir Richard nicht genug? Oder gar überhaupt nicht? Sie schob das Gefühl beiseite. Bens Kuss am Vortag auf dem Steg hatte sie durcheinandergebracht. Eine solche Sinnlichkeit hatte sie mit keinem anderen erlebt, nicht einmal mit ihrem Ehemann. Erst recht nicht mit ihrem Ehemann. Aber obwohl der Kuss so aufwühlend gewesen war – der Gedanke an das armselige Leben, das sie führen müsste, wenn sie solchen Impulsen nachgab und ihnen bis zum natürlichen Ende folgte, beunruhigte sie noch viel mehr. Ben war unverlässlich, er bot ihr keine Sicherheit. Und doch – als er sie zum ersten Mal geküsst hatte, nicht wie ein Bruder, sondern so, wie ein Mann eine Frau küsst, hatte er ihr eine ganz neue Welt eröffnet, eine Welt voller Sinnesfreuden …
Mark wirkte nicht gekränkt, eher neugierig. Als sie seinen Blick bemerkte, riss sie sich zusammen. Energisch verdrängte sie die Erinnerung an Bens Kuss und breitete lächelnd die Arme aus. „Der Herr weiß, was die Reise mir bringen mag, Monsieur …
Aber ich werde das Wagnis auf mich nehmen.“
Zu ihrer eigenen Verblüffung schlug ihr Herz höher, und die Sonne schien ein wenig heller zu scheinen. Ja! Sie würde zu Adam nach England fahren – gleichgültig, ob Ivona sie begleitete oder nicht. Und wenn sie Sir Richard wiedersah, würde sie feststellen, ob sie zusammenpassten. Plötzlich fand sie ihren Entschluss, Mark von ihren Absichten zu erzählen, nicht mehr so überstürzt, wie er ihr zunächst vorgekommen war.
Sie dankte ihm dafür, dass er ihr die restliche Ware abkaufte, und eilte davon. Da sich Klatschgeschichten schneller herumsprachen, als Schwalben fliegen konnten, wollte sie ihre Pläne möglichst bald mit Ivona besprechen. Sie musste ihr berichten, dass Adam sie beide nach Fulford eingeladen hatte. Das sollte Ivona von ihr, Rozenn, erfahren und nicht von jemand anderem.
Und falls die Mutter sich weigerte, Quimperlé zu verlassen? Nun, Rose konnte sie zu nichts zwingen, Ivona musste ihre eigenen Entscheidungen treffen.
Diesem schwierigen Gespräch würde ein weiteres folgen – mit Comtesse Muriel.
6. KAPITEL
W ährend Ben mit Ivar sprach, einem von Comte Remonds Reitknechten, spähte er durch das Stalltor und sah Rose den Marktplatz verlassen.
Er nickte Ivar zum Abschied zu, schlang sich den Riemen seiner Lautentasche über die Schulter und lief aus dem Stall. Auf der Pont du Port holte er Rose ein. Jetzt, am späten Nachmittag, lag die Brücke bereits im Schatten, denn die Sonne war hinter der Klippe versunken, auf der sich Hauteville erstreckte. Rozenns Geldbeutel war prall gefüllt. Daraus folgerte Ben, dass ihr Markttag erfolgreich war.
Auch er hatte an diesem Nachmittag ein paar Münzen verdient und wollte sie zum Abendessen in den „Weißen Vogel“ einladen. Endlich musste er herausfinden, ob sie Adams Wunsch nachkommen und nach England reisen würde. Zudem war es höchste Zeit für ihn, sich in ihre Pläne einzumischen. Natürlich mit äußerster Diskretion. Keinesfalls durfte Rose merken, dass sie manipuliert wurde …
Sie schenkte ihm ein vages Lächeln und wirkte seltsam verstört. Was mochte sie bedrücken?
„Bringt Anton deine übrige Ware nicht nach oben?“, fragte er.
Beinahe – nur beinahe – bereute er den impulsiven Kuss am Vortag auf dem Anlegesteg. Schon einige Zeit lang hatte er sich gefragt, wie es wäre, Rose zu küssen. Und jetzt, nachdem es geschehen war, konnte er es unmöglich bedauern. Im Gegenteil – er wünschte sich viel mehr, wann immer er sie anschaute. Sie in den Armen zu halten, fühlte sich einfach richtig an, so wie er es bei allen anderen Frauen dieser Welt niemals empfinden würde.
Aber in diesem Moment presste Rose ihre hübschen Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Hoffentlich nicht wegen des Kusses … Ein ungutes Gefühl ergriff ihn.
Wortlos verließ sie die Brücke und wandte sich nach links, Richtung Basseville. Hatte sie die Frage nicht gehört? War er zu ungeschickt vorgegangen? Offenbar hatte er mit dem Kuss einen verhängnisvollen Fehler begangen. Verdammt, um dem Herzog zu nützen, musste er sich gut mit ihr stellen! Aber vielleicht war
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