Ballade der Leidenschaft
von einer Silberbrosche zusammengehalten wurde. Als Schneiderin besaß sie ein fachkundiges Auge für die Fasson und die Qualität aller Kleidungsstücke. Ja, dieses besondere Blau erkannte sie wieder. Von dem dichten roten Haar ganz zu schweigen … Außerdem hätte sie schwören können, die Nase des Mannes war lang und spitz.
„Hast du den gesehen, Ben …?“
Aber ihr Gefährte war mit den Gedanken woanders. Natürlich. Seine Aufmerksamkeit galt einer hübschen Frau, die am Ende des Markplatzes Eier verkaufte. Offensichtlich kannte sie ihn, denn sie lächelte entzückt, ihre Wangen färbten sich rosig, ihre Augen leuchteten. Und sie sah glücklich aus. Nein, geradezu ekstatisch, verbesserte sich Rozenn und spürte einen sonderbaren schmerzhaften Stich im Herzen.
Grinsend winkte Ben der Frau zu.
„Oh, Benedict! Benedict!“ Ihre Rufe übertönten das laute Stimmengewirr auf dem Markt. Nach ihrer Miene zu schließen, könnte man glauben, sie wäre über einen riesigen Sack voller Deniers gestolpert, den sie behalten durfte.
„Chérie?“
„Singst du heute Abend in der ‚Brücke‘?“
„Das hoffe ich.“
Nun lächelte die Frau noch breiter. Als hätte sie daneben noch einen Sack voller Goldmünzen gefunden. „Dann bis heute Abend!“, rief sie glückstrahlend. „Ich bringe die Mädchen mit!“
„Darauf freue ich mich, Paola.“
Zur Hölle mit ihm, er kannte ihren Namen. Wahrscheinlich kannte er den Namen jeder einzelnen Frau im Herzogtum. Die Zähne zusammengebissen, spähte Rozenn wieder in die Gasse. Viel zu sehr damit beschäftigt, Herzen zu brechen, hatte Ben den rothaarigen Mann nicht bemerkt. Der musste ein Zwilling des Kerls sein, den sie im Stallhof der Burg und dann beim Kai von Quimperlé gesehen hatte.
„Schau mal, Rose.“ Inzwischen hatte Ben den Leitzügel verkürzt, kaum ein Zoll trennte die beiden Pferde. „Diese Häuser da oben am Steilhang … Da braucht es keine Stadtmauer.“
Rozenn blickte nach oben. Ja, das stimmte. „So wie in Quimperlé beim ‚Weißen Vogel‘“, murmelte sie.
„Deshalb dachte ich, hier würdest du dich heimisch fühlen.“ Zärtlich strich er ihr mit den Fingerknöcheln über die Wange.
Ihr Herz begann zu stolpern, und sie musste den Blick senken. In ihrer Fantasie stieg wieder das Bild eines breiten Federbetts auf.
„Jetzt ist es nicht mehr weit. Du hast dich wirklich tapfer gehalten. Schau doch, da vorn!“
Vor einem hölzernen Gebäude schwankte ein Schild in der Abendbrise. Darauf prangte eine Brücke, die einem Fantasiegebilde glich. In kühnen Linien gemalt, überspannte sie eine gewaltige Schlucht. Das musste der Gasthof sein. Aus dem Schornstein stiegen gekräuselte Rauchwolken, durch die offenen Fenster und die Tür sah Rozenn mehrere Laternen brennen.
Ben ritt mit ihr in den vorderen Hof und zügelte die Pferde. Geschmeidig wie eh und je stieg er ab. Wie gelang ihm das nur nach einem ganzen Tag im Sattel? Sogar Ritter wie Adam und Sir Richard würden sich nach einem so langen Ritt stöhnend die steifen Glieder reiben. Er warf Pipers Zügel einem Jungen zu, der vor einem Wassertrog saß und an einem Schilfrohr schnitzte. „He, Tom, wird das noch eine Pfeife?“
Grinsend entblößte der Junge ein paar Zahnlücken und nickte.
„Wenn du willst, probieren wir sie später aus.“ Ben legte geistesabwesend eine Hand auf Rozenns Schenkel und strich mit dem Daumen darüber. Einmal, zweimal, dreimal. Sie spürte es durch das Leinen ihres Rocks hindurch, winzige zitternde Pfeile schienen in ihren Bauch zu rasen. Ein Wunder, denn ihr Körper war ganz taub vor Müdigkeit, und sie hatte geglaubt, sie würde ihre Beine überhaupt nicht mehr fühlen.
„Ja, gerne, Benedict“, stimmte der Junge eifrig zu.
Ben reichte Rozenn eine Hand und wollte ihr vom Pferd helfen. Blindlings starrte sie seine Finger an, schwankte kraftlos im Sattel und glaubte keinen Muskel rühren zu können.
„Rose?“
„Oh Ben, ich glaube, ich kann nicht …“
Da hob er beide Hände. „Schon gut, ma belle , lehne dich nur an mich. Keine Bange, ich halte dich fest.“
Rozenn fiel buchstäblich in seine Arme. Sobald ihre Füße den Boden berührten, knickten ihre Knie ein. Sie klammerte sich an ihn, und Ben – der geborene Verführer – machte das Beste aus der Situation. Lächelnd drückte er sie an sich.
„Verzeih mir“, murmelte sie, „meine Beine sind eingeschlafen.“
„Gleich werden sie aufwachen.“ Er hauchte ihr einen Kuss auf die Nasenspitze
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