Ballade der Liebe
„Jedenfalls keinen sonderlich großen Wunsch.“
„Lassen Sie den Unsinn, Sir“, fauchte Greythorne wutentbrannt. „Sie wissen genau, wovon ich rede. Sie haben die Grenzen des Anstands in diesem Wettbewerb bei Weitem überschritten.“
„Sie tun es schon wieder.“ Tanner schüttelte den Kopf. „Sollten Sie mich noch einmal beschuldigen, kein Gentleman zu sein, sähe ich mich gleichfalls gezwungen, Sie zum Duell zu fordern. Bei meinem sprichwörtlichen Glück und meiner gefürchteten Treffsicherheit würde ich Sie töten, dafür aber an den Galgen kommen. Das erschiene mir eine schreckliche Vergeudung. Die Sache mit dem Galgen, meine ich. Natürlich könnte ich meinen Sekretär zum Duell antreten lassen. Das würde den Fall für mich wesentlich vereinfachen …“
„Genug davon!“ Greythornes Augen quollen beinahe aus den Höhlen.„Sie haben sich auf unfaire Weise Vorteile in diesem Wettbewerb verschafft, und das lasse ich nicht zu!“
Tanner beugte sich vor und blickte ihm kalt und unverwandt in die Augen. „Ja, es reicht, Sir. Ich habe meine Karten geschickt ausgespielt, und es ist nicht mein Problem, wenn Sie keine Trümpfe in der Hand haben.“
Aufgebracht sprang Greythorne auf die Füße. „Sie gehört mir, Tannerton. Darauf können Sie sich verlassen. Sie vergessen, dass ich morgen Abend mit ihr speise.“
Worauf Tanner sich allerdings wirklich verlassen konnte, war, dass Flynn seinen Rivalen nicht aus den Augen lassen würde. „Ich schlottere vor Angst bis in meine Stiefelspitzen“, entgegnete er seelenruhig.
„Sie sind eine Schande für die feine Gesellschaft.“ Greythorne zitterte vor Empörung. „Stiefel am Abend zu tragen. Unerhört!“
Mit einem letzten vernichtenden Blick auf den Marquess stürmte er aus den Clubräumen.
Tanner blickte sinnend auf seine schwarzen Stiefel, die nicht mehr ganz sauber waren, nachdem er sie den ganzen Tag getragen hatte. Dann schaute er zur Tür, durch die Greythorne geflohen war, hob sein Glas an die Lippen, hielt auf halbem Weg inne, schaute erneut auf seine staubigen Stiefel und brach in Gelächter aus, ein ausgelassen wieherndes Gelächter, das durch die Clubräume hallte.
Als Rose am nächsten Abend auf dem Podium stand, hielt sie in der Zuschauermenge Ausschau nach Flynn, ohne ihn zu entdecken. Greythorne hingegen, der sie ansah wie ein Hungernder, dem beim Anblick eines Festtagsbratens das Wasser im Mund zusammenlief, fand sie mühelos. Hastig wandte sie den Blick ab.
Wie Miss Hughes und Signor Angrisani sie angeleitet hatten, hatte sie sich eingesungen, ihre Stimme geschmeidig gemacht und immer wieder geprobt, richtig zu atmen. Es gab so viel Neues zu beachten beim Singen, dass sie beinahe den Text vergaß. Sie sang die Lieder, die sie immer sang, konzentrierte sich aber auf das Atmen und das Volumen ihrer Stimme, ohne mit dem Ergebnis zufrieden zu sein.
Trotzdem applaudierte das Publikum begeistert, und sie verneigte sich dankbar.
Auf dem Weg zur Stiege hielt Mr. Hook sie auf. „Was ist mit Ihnen, Rose? Sie haben nicht gesungen wie sonst.“
Beschämt senkte sie den Kopf. „Ich weiß. Ich war nicht gut, stimmt’s?“
Der Musikdirektor sah sie streng an.„Nein. Sie sangen die Worte ohne die tiefere Bedeutung dahinter, beinahe so, als würden Sie zum ersten Mal vom Blatt singen.“
„Ich nehme Gesangsstunden, Mr. Hook“, erklärte sie. „Ich lerne, richtig zu atmen, und andere Techniken, die meine Stimme besser zum Tragen bringen. Daran habe ich die ganze Zeit gedacht.“
Er legte ihr väterlich die Hand auf den Arm. „Singen Sie die Lieder, Rose. Singen Sie mit Hingabe und Inbrunst, das wollen die Leute hören.“
„Ich werde mich bemühen, Mr. Hook“, sagte sie.
Besänftigend tätschelte er ihr den Arm. „Tun Sie das, Kindchen.“
Er kehrte zu seinem Orchester zurück, und Rose ging die Stiege hinunter. Auf halbem Weg blieb sie stehen. Sie wollte Mr. Hook, der an sie geglaubt und ihr diese Chance gegeben hatte, nicht enttäuschen. Plötzlich zweifelte sie daran, ob sie überhaupt singen konnte. Würde sie auf der Opernbühne versagen? Konnte eine kleine Chorsängerin die gesamte Aufführung verpfuschen?
Sie stieg noch ein paar Stufen hinunter, blieb wieder stehen und dachte daran, dass Greythorne auf sie wartete. Flynn hatte versprochen, er halte sich zu ihrem Schutz in ihrer Nähe auf, und Tannerton wollte zwei seiner Diener zu ihrer Bewachung schicken. Sie wünschte, Flynn unter den Zuschauern gesehen zu haben.
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