Ballade der Liebe
Vielleicht war er verhindert – durch einen Schaden an der Kutsche, oder Tannerton hatte ihm einen anderen Auftrag erteilt. Oder er war plötzlich krank geworden.
Rose lehnte sich Halt suchend an die Holzwand. Sie könnte es nicht ertragen, wenn Flynn etwas zugestoßen wäre. An so etwas durfte sie gar nicht denken. Sie musste selbst mit Greythorne fertig werden. Madame Bisou hatte sie gelehrt, sich gegen unerwünschte Avancen zur Wehr zu setzen. Sie würde allerdings keine so drastischen Methoden anwenden, wie Katy es getan hatte, aber so weit wollte sie es gar nicht erst kommen lassen.
Sie betrat den engen Umkleideraum, wo Greythorne bereits auf sie wartete.
Letty eilte ihr, mit ihrem Umhang über dem Arm, entgegen. „Wo bleibst du denn so lange, Rose? Es ist unhöflich, einen Gentleman warten zu lassen.“
Rose nahm ihr den Umhang ab. „Mr. Hook hat mich aufgehalten.“
Letty wandte sich eifrig an Greythorne. „Sehen Sie, M’lord. Es hat nichts zu bedeuten. Mr. Hook ist der Direktor. Er lässt sie hier singen.“
Greythorne verneigte sich, den Blick auf Rose gerichtet. „Ich war nicht im Geringsten besorgt.“ Er streckte die Hand aus. „Wollen wir, meine Liebe?“
Geflissentlich übersah Rose die ausgestreckte Hand und legte sich umständlich das Cape um die Schultern. Auf dem Weg zur Tür eilte Letty hinter ihr her und zog ihr die Kapuze über den Kopf.
„Moment noch“, sagte sie. „Ich sehe nach, wer draußen ist.“ Sie huschte ins Freie und erschien gleich darauf wieder. „Wenn Sie jetzt gehen, sieht Sie niemand.“
„Gut, dann wollen wir?“ Greythorne bot Rose den Arm, den sie wohl oder übel nehmen musste.
Draußen streifte sie die Kapuze in den Nacken, damit Flynn sie besser sehen konnte, und suchte die Umgebung mit Blicken ab, ohne ein Zeichen von einem Bewacher zu bemerken.
„Ich hoffe, Sie haben meinen Wunsch beherzigt, im Freien zu bleiben“, sagte sie.
Er legte seine Hand auf die ihre. „Seien Sie versichert, meine Liebe, ich erfülle Ihnen jeden Wunsch.“
Sie wollte ihm schon ihre Hand entziehen und weglaufen, doch er gab sie frei und tat so, als sei nichts gewesen.
„Ich habe ein Separee reservieren lassen“, sagte er mit samtweicher Stimme. „Und wir werden von allen Köstlichkeiten kosten, die Vauxhall zu bieten hat.“
Als sie die Rotunde durchquerten, rief eine Stimme hinter ihnen: „Da ist sie ja!“ Eilige Schritte näherten sich.
Ihr Herz klopfte schneller, in der Hoffnung, Flynn käme zu ihrer Rettung, doch es war ein fremder junger Mann, der sie einholte und den Hut zog.
„Ihr Gesang hat mir sehr gut gefallen, Miss O’Keefe“, sagte er.
„Das freut mich, Sir.“ Zum ersten Mal war sie froh, von einem Bewunderer angesprochen zu werden, da sie immer noch keine Spur von Flynn entdecken konnte.
„Darf … darf ich Ihnen meine Karte geben?“ Er hielt sie ihr hin.
„Ja …“ Rose griff danach.
„Belästigen Sie die Dame nicht“, fuhr Greythorne den jungen Mann an und führte sie eilig durch den Wandelgang in die letzte Loge am Grand Walk. In diese entfernte Ecke des Parks kamen nur vereinzelt Spaziergänger, die im Übrigen zu sehr mit ihrer Begleitung beschäftigt waren, als sich für Gäste in einem Separee zu interessieren. Die drei anschließenden Logen waren unbesetzt, und Rose vermutete, dass Greythorne sie gleichfalls gemietet hatte.
„Ich bat Sie um ein Treffen an einem belebten Ort, aber Sie bringen mich in eine entlegene Ecke des Parks.“ Rose sah sich nicht verpflichtet, höflich zu ihm zu sein.
Er besaß die Frechheit, auch noch ein gekränktes Gesicht zu machen. „Das lag gewiss nicht in meiner Absicht. Diese Loge wurde mir angeboten, da die anderen offenbar bereits vergeben waren.“
Sie glaubte ihm kein Wort.
Auf dem weiß gedeckten Tisch warteten Silberplatten mit hauchdünn geschnittenem Schinken, gebratene Stubenküken und eine Flasche Wein. Ein Diener war nicht in Sicht. Der Weg vor dem Wandelgang war von Gaslaternen erhellt, aber in der Loge brannte nur ein Wandlicht, und der hintere Teil blieb völlig im Dunkeln. Vor dem Tisch standen zwei Stühle dicht nebeneinander.
Greythorne bemerkte ihre prüfenden Blicke. „Ich gab Anweisung, die Stühle nebeneinanderzustellen, damit wir die flanierenden Besucher beobachten können und Sie sich etwas … beschützt fühlen.“
Damit er sich leichter Freiheiten herausnehmen kann, fürchtete Rose hingegen, deren Argwohn von Minute zu Minute wuchs. Er rückte ihr einen Stuhl
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